Vorsicht!

Predigt zu Mt 13,24-43 (A/16)

Einleitung
Franz von Assisi gab dem Gärtner des Klosters den Auftrag, im Klostergarten eine Fläche frei zu lassen, die nicht bearbeitet wird.
Er wollte nicht, dass der Gärtner zuviel umgrub, damit auch Unkraut und Feldblumen ihren Platz fänden. Denn so die Überzeugung des Franziskus: Alle sind Geschöpfe Gottes und haben ihre Berechtigung. Ob nicht Franz dabei das Gleichnis im Hinterkopf hatte, das wir heute als Evangelium hören?

Predigt
Für einen Bauern ist das heutige Evangelium eine Zumutung. So dumm kann doch bloß einer reden, der von der Landwirtschaft nichts versteht: Lasst beides, Unkraut und Weizen wachsen bis zur Ernte! Wo kämen wir denn da hin! Wenn wir uns an diesen Ratschlag halten, könnte kein Bauer mehr existieren.
Aber so dumm wie es klingt, war der Ratschlag Jesu nicht. Er hat die Landwirtschaft seiner Zeit genau gekannt. Das am meisten gefürchtete Unkraut im Weizen war der Taumellolch. Er hat nämlich zwei Tücken: Im Wachsstadium bis zur Ausbildung der Ähre unterschiedet er sich im Aussehen kaum vom Weizen. Und was noch schlimmer ist: Seine Wurzeln sind fest mit den Wurzeln der Weizenhalme verflochten. Selbst wenn ich wirklich den Taumellolch erwische, reiße ich automatisch den Weizen mit aus.

Merken Sie es: Was sich bei Jesus zunächst so weltfremd anhört, nämlich Weizen und Unkraut nebeneinander wachsen zu lassen, erweist sich als lebenskluger Ratschlag. Er bedeutet nämlich im übertragenen Sinn: Sei vorsichtig mit radikalen Lösungen. Am Ende schadest du dir selbst und anderen Menschen mehr, als du denkst.

Wir Menschen stehen in der Gefahr eines Schwarz-Weiß-Denkens, wir sondern immer genauer aus zwischen Unkraut und Weizen, zwischen denen, die volle Leistung bringen, und denen, die von einem anderen mitgezogen werden müssen und dann oft noch eine Belastung darstellen. Zwischen denen, die auf unserer Linie liegen und denen, die anders denken. Egal ob Kirche oder Gesellschaft: Der Wunschtraum ist ein chemisch reiner Betrieb; eine perfekte Gesellschaft, eine heile Familie, eine Kirche der Heiligen.

Liebe Leser,
mit seinem Gleichnis will Jesus nicht sagen: Nennt das Unkraut einfach Weizen. Er will nicht sagen: Unkraut ist genauso gut wie Weizen.
Es heißt auch nicht: Lasst einfach alles laufen, wie es läuft! Und lasst alles wachsen, wie es wächst.
Worauf Jesus den Finger legen will, das ist: Seid misstrauisch, wo immer eine radikale Lösung gepredigt wird. Wo es heißt: „Niemals!, 100%, um jeden Preis!“ Wer so redet, verspricht mehr als er halten kann. Er mahnt zur Vorsicht.Denn bei 100%-gen Schädlingsbekämpfungen ist der Schaden oft größer als der Nutzen - nicht nur auf den Äckern. Auch in der Kirche, in den Betrieben, in der Erziehung.

Vehement kämpft Jesus gegen diese jätelustige Lebenseinstellung. Er wirbt um mehr Gelassenheit gegenüber dem, was mir gegen den Strich geht. Und er wirbt mit Engelszungen darum, das letzte Urteil über andere, über Entwicklungen, die ablaufen, einem anderen zu überlassen, der keine Schnellschüsse macht und zu dem der Weis¬heitslehrer betet: „Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht“ (Weish 12,16)

Und drehen wir den Spieß doch einmal um! Schauen wir nicht nur Kirche, nicht Familie, nicht den Betrieb, nicht Entwicklungen in unserer Gesellschaft an, sondern uns selbst! Wo würden Sie sich einordnen: Eher unter dem Weizen oder eher unter dem Unkraut?
Oder spüren sie, dass auf ihrem Lebensacker beides wächst? Viel Weizen, aber auch manches Unkraut.
Und das Wort Jesu im Ohr, ist tröstlich: Du brauchst nicht durchzudrehen, wenn du das Unkraut in deinem Lebensacker entdeckst. Es gibt immer noch genug zu ernten.

Tagesgebet
Gott, auf dem Ackerfeld meines Lebens gedeiht Weizen und wächst Unkraut. Hilf mir das eine zu düngen und des anderen Herr zu werden. Vor allem aber verleih mir den Mut und die Kraft, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, das Unabänderliche zu ertragen, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden“.

Fürbitten
Herr, unser Gott, deine Stärke ist Geduld, und deine Gerechtigkeit zeigt sich in deiner Nachsicht. Wir bitten dich:

Für die Menschen, die schwere Schuld auf sich geladen haben. Schenke ihnen die Gnade eines Neuanfangs, damit sie in Frieden mit ihren Mitmenschen und mit dir leben können.

Für alle, die in der Justiz und im Strafvollzug arbeiten. Lass sie das rechte Maß finden und nicht den Glauben an die Würde des Menschen verlieren

Für alle, die alles besser wissen und meinen, alles müsste nach ihren Kopf gehen. Schenke ihnen Geduld und Gelassenheit, die ihnen fehlen

Für unsere Verstorbenen. In diesem Gottesdienst nennen wir stellvertretend die Namen von …..............................................
Lass sie deine Barmherzigkeit erfahren


Pfarrer Stefan Mai

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