Manchmal seelenverwandt?

Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis (Jer 20,7-13)

Einleitung

Teresa von Avila meinte einmal:
Gott, es ist doch kein Wunder, dass du so wenig Freunde hast, wenn du sie so schlecht behandelst.
Der Prophet Jeremia, von dem wir heute in der Lesung hören, er gehört zu dieser Gattung von Freunden

Predigt

Er hatte sich nicht ins Amt gedrängt. Dieser Jeremia. Nein, wahrlich nicht! Er dachte nicht an Karriere, an eine besondere Stellung oder einen lukrativen Verdienst.
Bedenken hatte er angemeldet, als ihn Gott den Auftrag zum Propheten gab:

Gottes Wort geschah zu mir und sagte:
Dich habe ich ausersehen
und ich bestelle dich zu einem Propheten für die Völker.
Ich aber sprach:
Ach Herr, ich tauge nicht zu predigen.
Ich bin zu jung.
Gott aber sprach zu mir:
sage nicht: ich bin zu jung.
Sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende,
und predigen alles, was ich dir gebiete.
Fürchte dich nicht vor ihnen,
denn ich bin bei dir und will dich erretten.


Und er lässt sich auf dieses Versprechen ein. Und nimmt den Auftrag an. Es ist kein leichter Auftrag. Er hat unbequeme Botschaften auszurichten: Jeremia muss das Volk anklagen. Er fordert Ausgleich zwischen Arm und Reich, legt sich mit den Mächtigen an, und mit denen, die ihre Fäden ziehen.

Man findet unter meinem Volk Gottlose,
die den Leuten nachstellen
und Fallen zurichten,
um sie zu fangen,
wie es die Vogelfänger tun.

Ihre Häuser sind voll Tücke,
daher sind sie groß und reich geworden,
fett und feist.

Sie gehen mit bösen Dingen um,
sie halten kein Recht,
der Waisen Sache fördern sie nicht,
und helfen den Armen nicht zum Recht.
Es steht gräulich und grässlich im Lande.


So redet Jeremia. Er macht sich völlig unbeliebt. Er wird gemieden, gerät in totale Einsamkeit. Ja es treibt ihn an den Rand des Selbstmordes. So etwas wie ein Abschiedsbrief liegt sogar in der Bibel vor, ein Text, der seine Verzweiflung erkennen lässt:

Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde;
der Tag soll ungesegnet sein, an dem mich meine Mutter geboren hat.
Verflucht sei, der meinem Vater als Gute Botschaft die Mitteilung brachte: “Du hast einen Sohn!“


Und dennoch schmeißt Jeremia nicht hin. Er spürt: Ich komme von Gott nicht los. Mit Jeremias eigenen Worten:

Sagte ich aber, ich will nicht mehr an ihn denken
und nicht mehr in seinem Namen sprechen,
so war es mir, als brenne in meinem Innern ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern.


Obwohl Jeremia unter der Last der Aufgabe leidet, kann er seine Aufgabe nicht zurückgeben. Und so bleibt ihm nur eins: Gott hat ihm die Aufgabe gegeben, also muss Gott ihm helfen, sie zu tragen.

Gott, der Herr ist bei mir wie ein starker Held.

An diese Überzeugung klammert er sich wie an einen letzten Strohhalm.
Wieso ihn das beruhigt, kann man aus dem Text nicht erkennen.
Vielleicht ist es schon eine große Hilfe, dass Jeremia Gott sein Leid klagen, ja sogar Gott anklagen kann. Immer muss er vor den Leuten stark erscheinen, aber im Gebet darf er ehrlich vor Gott seine Schwäche nennen. Darf er den aufgestauten Frust einfach herausschreien.
Vielleicht vertraut Jeremia darauf, dass Gott ihm innerliche Stärke und Robustheit gibt. Dass ihm mit Gottes Hilfe in Zukunft die Belastungen nicht mehr so viel ausmachen werden. Gott soll seiner Seele eine Elefantenhaut schenken, von der alles abfällt und abprallt.

Vielleicht hilft die Einsicht, dass es wirklich Sinn macht, diese kritischen Worte gegen Reiche und Unterdrücker zu sagen, gut für die Armen und Unterdrückten.

Vielleicht stärkt ihn die Gewissheit, dass Gott auf seiner Seite ist, und dass darum die andern sagen können, was sie wollen!

Vielleicht lässt ihn Gott auch irgendwie wissen: Du nimmst dein Prophetenamt viel zu ernst. Leiste in diesem Amt nur so viel, wie du leisten kannst, ohne Schaden zu nehmen.

Wir wissen nur eines: Jeremia vertraut in allen Zweifeln und Verzweiflung Gott. Und erwartet von ihm viel. Und das hilft ihm zum Leben.

Liebe Leser,
spüren wir in dieser Lebensgeschichte des Jeremia nicht auch unsere eigenen Fragen, Belastungen und Bewältigungsmuster hindurchschimmern?


Pfarrer Stefan Mai

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