Mehr als nur ein Ritus

Predigt zum Fronleichnamsfest 2014

Einleitung

Bei der großen Bandbreite von Brotvariationen ist vielen Menschen das Bewusstsein von früheren Generationen verlorengegangen: Brot ist das Grundnahrungsmittel schlechthin.
Je mehr Menschen immer weniger mit dem Kreislauf der Natur direkt zu tun haben und das Brot nur von Geschäften her kennen, geht das Bewusstsein eines alten Sprichwortes verloren: „Für jedes Stück Brot, das ich esse, hat jemand ein Saatkorn in die Erde gelegt.“
Brot als Lebenssymbol, das war im Bewusstsein der Menschen zur Zeit Jesu tief verankert. Und ohne dieses Bewusstsein, dass Brot viel mehr ist, als nur etwas zum Kauen und Verdauen, wäre das Fronleichnamsfest schwer zu verstehen.

Predigt

Gerne erinnere ich mich an ein tägliches Bild aus meiner Kinderzeit. Eine Brotschneidemaschine gab es bei uns damals nicht im Haus. Wenn wir uns zur Brotzeit an den Tisch setzten, nahm unsere Mutter oder unser Vater den Laib Brot, zeichnete mit dem Messer drei Kreuzchen auf den Laib, drückte diesen mit dem linken Arm an die Brust und schnitt für jeden gekonnt die Brotscheiben ab und legte sie einem jeden von uns auf das Brotzeitbrettchen. Ein ganz gewöhnlicher alltäglicher Vorgang, bei dem ich mir damals nichts Großes dachte.

Heute in der Rückschau auf mein Leben ist dieser Brotritus voll tiefem Symbolgehalt. Da zeichnet die Mutter, der Vater ein Segenszeichen auf das Brot, drückt dieses an die Herzgegend, schneidet Scheibe für Scheibe ab und teilt das Brot aus. Wenn ich heute diesen Ritus von damals deute, bringt er für mich zum Ausdruck: Da danken Menschen erst einmal Gott für alles, was sie zum Leben empfangen, und empfinden es als Segen. Da schneiden Menschen nicht nur eine Scheibe Brot ab, sondern wollen für die, die ihnen am Herzen liegen und für die sie Verantwortung tragen, von sich selbst etwas weitergeben, von dem, was ihnen selbst wichtig ist, wollen selbst Brot für Menschen sein.

Brotbrechen war für Jesus die typische Handlung. Das Brot segnen, es austeilen, und dadurch Menschen an einem Tisch zusammenbringen, davon erzählen viele Geschichten.
„Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis. Dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib!“, heißt es im Abendmahlsbericht. Jesus gibt weiter, wofür er selbst gedankt hat. Er schenkt weiter, womit er sich selbst beschenkt sieht. Er lässt anderen zukommen, wovon er selbst lebt. Er verteilt keine Rezepte, sondern gibt von dem weiter, was ihm selbst Kraft schenkt. Wenn die Maxime wäre, jeder gibt von dem weiter, was ihm selbst geschenkt ist, dann würde unsere Welt automatisch solidarischer. Es wäre selbstverständlicher, dass der eine Bringschuld hat, wem viel mit auf dem Weg gegeben wurde:
Intelligenz, eine gesunde Natur und Psyche, große Begabungen, ein Leben ohne große Probleme, ohne Krisen und Schicksalsschläge, die ein Lebensgebäude zusammenstürzen lassen. Und wer von dem Brot, von dem er lebt und für das er dankbar ist, anderen weiterreicht, auf den strahlt es zurück: der wird nicht zum „Eigenbrötler“. Der wird sein Leben auch als Dienst für andere Menschen verstehen, möchte Brot für andere sein.

Liebe Leser,
ich habe mir als Kind nicht viel gedacht, wenn Vater und Mutter das Brot mit der Hand so schön wie Brotschneidemaschinen abschnitten. Aber fasziniert hat es mich. Und ich übte immer heimlich, damit ich das auch einmal so kann. Ich wollte – im Bild gesprochen - dem nacheifern, was mir vorgemacht wurde: Brot an andere austeilen. Ich glaube dahinter steckte einfach die unbewusste Haltung, ich wollte einem Lebensbeispiel nacheifern, selbst auch einmal Brot für andere Menschen sein.

Tut dies zu meinem Gedächtnis! Brecht das Brot füreinander und seid Brot füreinander, diesen Rat gibt Jesus seinen Jüngern beim Abendmahl mit auf den Weg.
Tut dies zu meinem Gedächtnis! In jeder Eucharistiefeier hören auch wir diese Worte. Motivieren sie auch uns immer wieder neu, uns darin einzuüben, Brot im übertragenen Sinn an andere auszuteilen und Brot für andere Menschen zu sein?


Pfarrer Stefan Mai

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