GOTT – ein „Atheist“?

Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag 2014

Einleitung
Da fragt ein Professor nach einer schlechten Prüfung den Theologiestudenten: »Und, können Sie denn wenigstens die Dreifaltigkeit erklären?« Da strahlt der Student und meint: »Na, wenigstens das kann ich! Also, die Dreifaltigkeit kann man so erklären …« Worauf der Professor ihn unterbricht: »Tut mir leid, aber Sie sind durchgefallen. Die Dreifaltigkeit kann niemand erklären.«

Ja, wir werden die Dreifaltigkeit nie erklären können. Aber vielleicht können wir uns jedes Jahr beim Feiern dieses Festes eine wichtige Einsicht vor Augen halten: Gott ist nie das Bild, das wir uns von ihm machen.


Predigt
Am 18. Juli 1972 schrieb der bekannte Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier in sein Tagebuch:

„Als der Kardinal-Inquisitor mich fragte, ob ich an Gott glaube, antwortete ich: Nein, an Ihren Gott glaube ich nicht.
Als der Atheist mich fragte, ob ich an Gott glaube, antwortete ich abermals: Nein, an den Gott, den Sie leugnen, glaube ich nicht.
Hätte ich die Frage des Kardinals wie die des Atheisten bejaht, so hätte ich mich beiden gegenüber der Unwahrhaftigkeit schuldig gemacht; ich hätte sie fahrlässig getäuscht; denn jeder hätte den Gott, an den zu glauben ich bejahe, mit dem seinen (ob geglaubten oder geleugneten) identifiziert.
Also glauben Sie doch an einen Gott, erwiderten mir Kardinal und Atheist wie aus einem Munde.
An GOTT!, wenn ich bitten darf, nicht an "einen", wie Sie es tun. Nicht an "einen", nicht an "meinen", nicht an diesen oder an jenen, denn das alles sind Götter. GOTT liegt im Streit mit den Göttern und mit uns, die deren Bilder verehren oder - zerstören, und insofern ist GOTT der militanteste "Atheist".
Der Inquisitor verurteilte mich wegen Blasphemie, der Atheist schmähte mich und nannte mich einen Filou.
aus: Fridolin Stier, Vielleicht ist irgendwo Tag, S. 199f

Ein äußerst provozierender Text – aber einer, der uns helfen könnte, dem auf die Spur zu kommen, was wir am Fest Dreifaltigkeit feiern.
Fridolin Stier schreibt in seinem Tagebucheintrag das Wort Gott immer klein, wenn es für ein Gottesbild steht, für den Gott des Kardinals oder für den Gott, den der Atheist leugnet.
Dagegen schreibt Stier das Wort GOTT in Großbuchstaben, wenn er den Gott jenseits der Gottesbilder meint, die wir uns zurechtlegen.
Und diesen GOTT in Großbuchstaben nennt er den militantesten Atheisten. Das provoziert: Gott ein Atheist?
Das wird aber verständlich, wenn wir zwischen GOTT und den Bildern, auf die wir ihn festlegen, unterscheiden. Denn das heißt: Gott sprengt jedes Gottesbild, weil er kein Gott sein will, den Menschen im Griff haben. Weil er kein Gott sein will, den Menschen für sich vereinnahmen oder gar missbrauchen.

Jeder Mensch, der an Gott glaubt, steht in einem eigenartigen Dilemma: Wenn ich meinen Glauben an Gott ausdrücken will, kann ich kaum auf Bilder und Vorstellungen von ihm verzichten. Schon die Bibel ist voll von diesen Gottesbildern. Und zugleich muss ich mir von vornherein sagen: Pass auf, das Bild, das du von Gott in dir trägst oder das du dir von ihm machst, ist immer unvollständig oder gar falsch!

Ich bin froh, dass die Lehre von der Dreifaltigkeit von Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist, die Formel von dem einen Gott in drei Personen, die die junge Kirche mit Hilfe der griechischen Philosophie entwickelt hat, im Grunde unverständlich bleibt. Schon dadurch werde ich gewarnt, Gott in meinen Denkkäfig einzusperren – und mir klarzumachen: Mit unseren Bildern von Gott werden wir (dem Geheimnis) GOTT nie gerecht.

Mir sagt das Bild vom dreifaltigen Gott, dass wir Gott auf verschiedenen Wegen erfahren oder in verschiedenen Weisen erahnen können:
Im Bild des Vaters gesprochen: Ich verdanke Gott mein Leben.
Im Bild des menschgewordenen Sohnes: Ich kann Gott in jedem Menschen begegnen.
Im Bild vom Heiligen Geist: Ich kann Gott ein Stück spüren als innere Kraft in mir.

Liebe Leser, ein Lehrer gab seinen Kindern den Auftrag: Malt ein Bild von Gott! „Kann ich nicht“, platzt ein Junge heraus, „ich habe keinen Goldstift dabei!“ „Ich nehme alle Farben“, meint ein Mädchen, „ganz bunt soll das Bild werden!“
Haben diese Kinder vielleicht mehr von Gott verstanden als mancher Theologe und Fromme, der Gott in sein Denkschema pressen will?

Die Anregung zu dieser Predigt verdanke ich W. Raible, Predigten für die Sonn- und Feiertage im Lesejahr C, S. 260-264




Pfarrer Stefan Mai

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