Wenn du die Schöpfung erhältst, erhält die Schöpfung dich

Predigt zum Siebenertag 2014 in Lülsfeld

Einleitung

Nach Gerolzhofen und Frankenwinheim darf ich innerhalb weniger Jahre nun mit Ihnen bereits den 3. Siebenertag in unserer Pfarreiengemeinschaft St. Franziskus am Steigerwald feiern.
Das wissen Sie. Franz von Assisi (1182 – 1226), der Patron unserer Pfarreiengemeinschaft hat in einer tiefen Ehrfurcht gegenüber der Natur gelebt.
Sein Sonnengesang, der zur Weltliteratur zählt, besingt die Schönheit, die Gewalt, die Fruchtbarkeit, die Großartigkeit der ganzen Schöpfung. Sonne, Mond und Sterne, Feuer und Wind, die Erde mit allem was darauf wächst: das alles ist ihm Abbild des Schöpfers.
Darum fühlt er sich allen Geschöpfen geschwisterlich verbunden. Darum predigt er den Vögeln, darum redet er mit dem „Bruder Wolf“, darum hebt er den Wurm von der Straße auf, damit ihn niemand zertritt. Weil er Ehrfurcht vor dem Schöpfer hat, ist ihm die gleiche Haltung den Geschöpfen gegenüber selbstverständlich.
Ich stelle mir heute einmal die Frage: Ist diese Haltung der Ehrfurcht vor der Schöpfung auch für uns eine selbstverständliche Grundhaltung?

Lesung: Röm 8, 22ff ; Evangelium: Mt 6,25-34

Predigt

Mit Stolz haben die Lülsfelder im Jahr 1752 ihre neu erbaute Kirche eingeweiht. Schon die Vorgängerkirche trug den Namen „Allerheiligen“. Ein Bild aus der Vorgängerkirche haben die Lülsfelder von der alten in die neue Kirche mit übernommen: Das 14- Heiligenbild. Unter diesen 11 Männern und drei Frauen befindet sich auch ein Bauernheiliger, den die benachbarte Pfarrei Schallfeld als Kirchenpatron hat. Kaum einer trägt heute noch seinen Namen: Es ist ein Einsiedlermönch mit einer Hirschkuh: der hl. Ägidius.
Von Ägidius, dem heiligen Einsiedler (+720), erzählt die Legende, er habe eine verwundete Hirschkuh, auf die ein Jäger einen Pfeil geschossen hat, gesund gepflegt. Aus Dankbarkeit habe diese ihn dafür mit ihrer Milch ernährt. Auf den ersten Blick eine fromme Legende. Doch der tiefere Sinn lässt sich leicht greifen: Die Hirschkuh ist Geschöpf Gottes. Sie steht stellvertretend für die verwundete Schöpfung. Schon Paulus schrieb an die Römer: „Wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt.“ (Röm 8,22) So gesehen hat diese alte Legende einen tiefen Sinn: Wenn du die Schöpfung erhältst, dann erhält die Schöpfung dich!

Und damit sind wir mitten in einer Thematik, die unsere Gesellschaft angeht: Wir greifen in die Schöpfung ein, geleitet vom Gedanken an den Nutzwert, den Profit. Wälder und Naturschutzgebiete fallen Bauprojekten zum Opfer. Geschwindigkeit - noch ein paar km schneller - hat Vorrang vor den Umweltfolgen aufgrund des CO² Ausstosses. Waldbesitzer messen den Wert des Waldes daran, wieviel Holz er ihnen jährlich liefert. In Haushalten wird berechnet, wieviel Öl und Gas durch Holz eingespart werden kann.
Der Wert eines Ackers scheint daran gemessen zu werden, wieviel Pacht zu zahlen ist, oder wieviel Pacht oder Subventionen er bringt!

Stellt bei soviel Nützlichkeitsüberlegungen das Staunen über die Perfektion, die Schönheit und die Geheimnisse der Schöpfung noch einen Wert dar? Wie gehen wir mit der Schöpfung um? Bewahren oder zerstören wir sie?

Die Überzeugung, dass der Mensch nur dann in Einklang mit der Natur steht, wenn er sie nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten sieht, hat schon im Jahre 1855 der Indianerhäuptling Seattle vor dem Gouverneur des Washington-Territoriums formuliert. Er hielt eine tiefsinnige Rede, als man seinem Indianerstamm anbot, das Land abzukaufen und den Indianerstamm in ein Reservat zu schicken. Diese Rede ist von einem roten Faden durchzogen: Die Schöpfung ist uns heilig. Nur ein kleiner Auszug seiner Rede:

Das Ansinnen des weißen Mannes, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken. Aber mein Volk fragt, was denn will der weiße Mann kaufen? Wie kann man den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen - oder die Schnelligkeit der Antilope? Wie können wir euch diese Dinge verkaufen - und wie könnt ihr sie kaufen?
Könnt ihr denn mit der Erde tun, was ihr wollt, nur weil der rote Mann ein Stück Papier unterzeichnet und es dem weißen Manne gibt? Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen - wie könnt ihr sie von uns kaufen?


Die Schöpfung ist uns zu selbstverständlich geworden, als dass wir sie mit der gebotenen Ehrfurcht betrachten. Der Mensch bestaunt lieber sein eigene „Schöpferkraft“. Das, was er mit seinem Geist und Geschick erfindet.
Die Bauern bekommen große Augen, wenn sie die neuen großen Maschinen in ihrer Schlagkraft und Ausstattung auf den Agrarmessen bestaunen: die großen Schlepper, Mähdrescher, Zuckerrübenvollernter und Maishäcksler. Sie fühlen sich wie im siebten Himmel, wenn sie in den bestens ausgestatteten Fahrerkabinen bei gedämpften Geräuschpegel, bei schöner Musik und wohl klimatisiert Herr der Maschinen sind. Neulich habe ich von hauptberuflichen Maschinenfotographen gelesen, die behaupten, ihre Videos von großen Maschinen seien zur Zeit ein echter Renner.
Sicherlich ist die Technik faszinierend, aber ich bezweifle, ob man davon seelisch nachhaltig leben kann.
Der Mensch findet seine Errungenschaften genial und ist mit seinem „Werk“ so beschäftigt, dass er leicht vergisst, dass die Natur die Möglichkeiten und Mittel dafür liefert. Vielleicht muss die Liebe zur Schöpfung neu entdeckt werden durch bewusstes Hinschauen, Hinhören, Berühren, Probieren, Genießen:

Ich frage mich: Kniet sich der Landwirt noch auf den Boden und staunt mehr darüber, wie ein Weizenkeimling aus der Erde spitzt und heranwächst, als über die neuesten genialen Maschinen?

Haben wir noch die Muße und Phantasie, beim Schauen auf ein Wintergerstenfeld, wenn der Wind darüberstreicht, ein wogendes, grünes Meer zu sehen oder schätzen wir nur noch den Hektarertrag?

Kann ich die Vogelstimmen noch genießen, die mich in der Morgendämmerung sanft aus dem Schlaf wecken; ergötzen mich noch die Lerchen, wenn sie sich jubilierend in die Lüfte schrauben, oder ist nur noch das Gebrumm der Maschinen Musik in meinen Ohren?

Gönne ich mir noch manchmal die Zeit, in klare Gewässer zu schauen, die mein Gesicht spiegeln und ich komme dabei einmal über mich zum Nachdenken?

Laden mich unsere Wälder mit ihrem Schatten und wunderbarer Luft noch zu Spaziergängen ein und lassen Gedanken in mir aufsteigen oder sind sie nur noch Holzlieferanten?

Spüre ich noch, wie beruhigend das Rauschen der Baumwipfel wirkt? Kann ich es mir noch auf Waldwegen, wenn sich Kronen der Buchen oben einander zuneigen, vorstellen, als gehe ich durch grüne gotische Kathedralen?

Freue ich mich noch über überraschende Begegnungen mit den scheuen, graziösen und schnellen Wildtieren?

Spüre ich noch den Regen auf der Haut und ist es Musik in den Ohren, wenn er in der Nacht aufs Dach trommelt, oder zählen nur noch die Millimeter in den Regenmessbehältern?

Staune ich noch über den Schnee, der wie eine weiße Decke alles Schmutzige verschwinden lässt und die Landschaft in ein Unschuldsparadies verwandelt oder ist er nur noch recht, dass der Weizen nicht auswintert?

Liebe Siebener,
trotz allem Erfindergeist und technischem Können, ist und bleibt der Mensch Geschöpf und ist nicht Schöpfer. Wenn wir dies nicht vergessen, bewahren wir uns gegenüber der Schöpfung eine dankbare, demütige, staunende und ehrfurchtsvolle Haltung. Dann empfinden wir noch: Die Schöpfung wurde uns als großes Geschenk in die Hand gelegt.
Dann spüren wir noch: Die Schöpfung ist ein Segen für uns. Sie bedarf des Segens Gottes ebenso wie unserer Ehrfurcht.
Und ein Ägidius und ein Häuptling Seattle geben uns heute eine alte Weisheit wieder einmal mit auf den Weg:
Wenn du die Schöpfung erhältst, erhält die Schöpfung dich!


Fürbitten Gl 680/4 –

Tagegebet Gl 19/3


Pfarrer Stefan Mai

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