Beim Namen gerufen – und hören

Predigt zum 4. Sonntag in der Osterzeit 2014

Predigt
Ich möchte heute einfach zwei Sätze aus dem Evangelium herausgreifen und sie mit zwei Geschichten kommentieren. Wir werden dabei spüren, dass diese beiden Sätzen wichtige Lebensthemen ansprechen und zum Nachdenken anregen wollen, was für ein gelungenes und zufriedenes Leben - das Evangelium nennt es „Leben in Fülle“ – wichtige Bausteine sind.


„Er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen...“

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht: Wer ruft Sie überhaupt beim Namen? Und wie sprechen Menschen Ihren Namen aus?
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass über den Ton beim Rufen eines Namens Beziehung hergestellt wird und Wertschätzung erfahren wird?

Patrick ist es gewohnt, wenn er von der Schule nach Hause kommt, dann ist keiner da. Doch heute ist alles anders. Als er die Wohnungstüre öffnet, erblickt er zu seiner Überraschung seine Mutter. Sie kommt ihm entgegen. Aber zu ihrem Erstaunen dreht Patrick sofort um und rennt die Treppe wieder hinunter. Seine Mutter läuft ihm nach und ruft ganz durcheinander: „Patrick, freust du dich nicht, dass ich schon da bin? Wegen dir bin ich doch heute früher als sonst heimgekommen. Ich wollte da sein, wenn du kommst. Warum rennst du denn weg?“ Patrick bleibt stehen und schreit ganz aufgeregt: „Ich gehe doch nur in den Hof, um mit den anderen Kindern zu spielen. Warte ein paar Minuten! Dann öffne das Fenster und ruf ganz laut zum Fenster hinaus: ‚Patrick, Patrick!’ Ja, ruf mich, wie die anderen Mütter ihre Kinder beim Namen rufen. Ruf: ‚Patrick, ich bin schon da. Komm heim!’“

Wo das passiert, dass ein Mensch Wertschätzung, Anerkennung, Ernstgenommenwerden mit seinem Namen in Verbindung bringt, ist der Boden dafür bereitet, dass er auch daran glauben kann: Gott interessiert sich für mich. Er will mein Bestes. Ich bin nicht nur eine Nummer. Er ruft mich bei meinem Namen.
Sind nicht die Menschen, die meinen Namen liebevoll, erwartungsvoll, respektvoll und manchmal auch anfragend aussprechen, die „guten Hirten“ meines Lebens?

Der zweite Satz: „Die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme.“

Dazu die zweite Geschichte:

Ein Indianer, der in einem Reservat lebte, besuchte seinen weißen Freund in der Großstadt. Er war verwirrt vom vielen Lärm, von der Hektik und von der schlechten Luft.
Die beiden gingen die Straße entlang. Plötzlich blieb der Indianer stehen und horchte auf: “Ich höre eine Grille zirpen”.
“Du musst dich täuschen, hier gibt es keine Grillen. Und selbst wenn, dann würde man sie niemals bei diesem Lärm hören.”
Der Indianer ging ein paar Schritte und blieb vor einem mit Efeu bewachsenen Haus stehen. Er schob die Blätter auseinander und fand die Grille.
“Natürlich hast du die Grille zirpen gehört. Dein Gehör ist besser geschult als meines”, meinte der weiße Mann.
Der Indianer schüttelte den Kopf: “Das Gehör eines Indianers ist nicht besser als das eines weißen Mannes. Ich werde es dir beweisen.”
Er griff in seine Tasche, holte ein Geldstück hervor und warf es auf den Gehsteig. Sofort blieben mehrere Leute stehen und sahen sich um.
“Siehst du, mein Freund, es liegt nicht am Gehör. Was wir wahrnehmen, liegt ausschließlich an der Richtung unserer Aufmerksamkeit.”


Ist es nicht so: Wir Menschen hören auf das besonders gut, worauf wir zu achten gewohnt sind, worauf unser Sinn gerichtet ist?
Hat Sein Wort bei den vielen Angeboten und Versprechungen, die täglich an unser Ohr dringen, noch eine Chance gehört zu werden?

Fürbitten
Herr, unser Gott, du hast uns ins Leben gerufen und möchtest, dass unser Leben gelingt. Wir bitten dich:

Für alle neugeborenen Kinder: Um Sicherheit und Geborgenheit in ihren Familien und um eine gute Entfaltung ihrer Anlagen

Für die jungen Menschen: Um die Erfahrung von Wertschätzung und wachsendes Selbstvertrauen

Für alle, die auf dieser Welt Macht und hohe Ämter haben: Um die Achtung der Menschenwürde und Einsatz für den Frieden unter den Völkern

Für uns selbst: Um ein feines Gespür für die Wegweisung deiner Worte

Für unsere Toten. In diesem Gottesdienst beten wir stellvertretend für............................................................
Um das Leben in Fülle bei dir


Pfarrer Stefan Mai

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