... und der Trott wird aufgebrochen

Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit 2014

Einleitung
Das bekannte Lied von Peter Janssens mit dem Text von Alois Albrecht aus dem Jahr 1974 „Manchmal feiern wir mitten am Tag ein Fest der Auferstehung“ hat es sogar ins neue Gotteslob geschafft. Es steht unter der Nummer 472. Ich bitte Sie, dieses Lied aufzuschlagen. Zur Einstimmung in diesen Gottesdienst beten wir die Strophen heute einmal abwechselnd zwischen linker und rechter Seite. Denn von einem Auferstehungserlebnis mitten im Alltag, davon hören wir heute auch im Evangelium

Predigt
Haben Sie schon einmal in die Gesichter der Menschen gesehen, die morgens zur Arbeit fahren? Sie sind normalerweise ausdruckslos, müde, gelangweilt. Ein Lächeln ist selten darin zu erblicken. Es sind eben Alltagsgesichter; Gesichter von Menschen, die genau wissen, wie der Tag jetzt weiter ablaufen wird, Gesichter von Menschen, die sich im alltäglichen Trott befinden. Manche dösen vor sich hin oder lesen Zeitung, andere denken bereits über die kommende Arbeit nach. Schüler schreiben noch schnell die fehlende Hausaufgabe ab, aber überall der gleiche erwartungslose Ausdruck. Er ist verständlich. Denn die Erfahrungen des Alltags warten nicht mehr mit Überraschungen auf.
Der eine wird, wie jeden Tag, seinen Computer bedienen. Der andere, wie immer, sein Auto lenken. Die Sekretärin wird die Korrespondenz erledigen. Der Fabrikarbeiter wird sich an seine Fließbandstraße stellen. Die Kassiererin wird sich an die Kasse setzen. Die Verkäuferin die Kunden nach dem gleichen Schema beraten. Der Lehrer wird zum 20. Mal die selbe Formel erklären. Eine Perspektive, Hoffnung auf etwas Neues, ist da nicht zu erspüren.
„Ich gehe fischen“, dieser Satz des Petrus klingt nicht gerade begeistert. Er klingt nach gewöhnlichem Alltagstrott. Nach: Naja, echte Lust verspüre ich gerade nicht, aber was bleibt sonst schon übrig. Gehe ich wieder an die Arbeit. Auch die Reaktion der anderen: „Auch wir fahren mit dir“, klingt nicht nach Begeisterungsstürmen und Tatendrang. Und man sieht vor sich förmlich unsere gelangweilten Busgesichter, die jeden Morgen zur Arbeit und in die Schule fahren, im Boot sitzen.
Und sie schauen noch betretener, als sie zurückkommen. Zu dem müde, ausdruckslos, gelangweilt kommt jetzt auch noch die tiefe Enttäuschung: Sie haben nichts ausgerichtet. Ihre Netze sind leer. Das Gefühl: Umsonst.
Und da steht einer am Ufer, sieht die enttäuschten Gesichter, sieht die leeren Netze – und stellt eine saudumme Frage. Er sieht genau, dass die Boote leer sind – und fragt trotzdem: Habt ihr nicht etwas zu essen? Die einsilbige Antwort lautet: Nein. Und da erdreistet sich dieser Fremde, noch einen Schritt weiterzugehen. Er macht dazu noch einen dummen Vorschlag: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus!, rät er. Und es ist schon mitten am Tag. Jeder Fischer weiß: Am Tag ist auf dem See Genesaret wenig zu holen. Das wäre vergebliche Liebesmüh! Reine Kräftevergeudung!
Eigentlich sollten sie den Schmarrer stehenlassen, ihre Boote an Land ziehen und heimgehen. Aber unsere Geschichte erzählt davon, dass sie sich auf den dummen Vorschlag einlassen – und genau dadurch kommt eine frische Brise in ihr flaues Lebensgefühl. Sie kommen mit vollen Netzen und anderen Gesichtern zurück.
Ich kann mir vorstellen, dass so Ostern im Alltag aussieht. Da wird die Welt nicht auf den Kopf gestellt. Da wird nicht alles anders. Da geschehen keine überirdischen Eingriffe. Da laufen nicht plötzlich lauter lächelnde Gesichter herum. Da strahlt nicht alles vor Arbeitsenergie. Da geht nicht alles von selbst.
Aber da wird ein jahrelanger Trott aufgebrochen, da kommt ein wenig Schwung ins Leben, da tun sich neue Perspektiven auf, da bekommt das Gewöhnliche einen neuen Pfiff.
Und der Grund? Weil endlich einmal die berühmten Killersätze nicht eingesetzt werden: Das bringt doch nichts. Das haben wir noch nie gemacht. Das brauchen wir gar nicht erst zu probieren. Das ist Zeit und Geld zum Fenster hinausgeworfen.
Die Ostererfahrung nach unserer Geschichte beginnt genau damit, dass Menschen in ihrem ganz gewöhnlichen Alltag hellhörig für Ungewohntes werden: bei der Arbeit am Ufer des Sees, im Gespräch am Familientisch, in der Diskussion im Pfarrgemeinderat, bei der Verhandlung am Konferenztisch.

Liebe Leser,
ob nicht Osterglaube im Alltag so beginnt: auf ungewohnte oder gar scheinbar sinnlose Vorschläge zu hören, Fragen zuzulassen, sich auf eine verrückt anmutende Fährte einzulassen, einen Gedanken, der völlig aus dem Rahmen fällt, weiterzuspinnen.
Und vor allem letztlich davon überzeugt zu sein: Hinter solchen verrückten Einfällen versteckt sich schelmisch die Phantasie Gottes, die sich nicht auf unsere Gedankengleise einspuren lassen will.

Fürbitten
In einem Lied singen wir: „Manchmal feiern wir mitten am Tag ein Fest der Auferstehung“. Gott wir bitten dich:
– für die monotonen Zeiten unseres Lebens, für die Tage und Wochen, in denen nichts von Auferstehung und Aufbruch zu spüren ist. Lass uns nicht abstumpfen
– für alle, die ungewohnte Gedankengänge denken und ungewohnte Vorschläge vorbringen. Lass sie nicht einfach niedergebügelt werden ...
– für unsere Pfarrgemeinden, in denen viele die altbewährten Wege schätzen und andere neue Wege einschlagen wollen. Lass beide Seiten voneinander lernen ...
– für alle Christen, die Glaube und Alltag nicht mehr in eins bringen, für die Gottesdienst und Alltag auseinander klaffen. Lass sie Worte hören dürfen, die mit ihrem Leben zu tun haben ...
– für alle, die in ihrem Beruf dauernd kreativ sein müssen. Steh ihnen bei, offen zu bleiben, hellhörig zu sein, um selbst nicht hohl zu werden ...
– für alle, für die der Alltag nur noch aus Angst und Ungewissheit besteht, die aus ihrer altgewohnten Heimat vertrieben worden sind und in eine ungewisse Zukunft schauen. Lass sie wieder hoffnungsvolle Perspektiven gewinnen dürfen …
– für unsere Toten. (In diesem Gottesdienst nennen wir stellvertretend die Namen von …........) Lass sie bei dir das Fest der Auferstehung erleben

Herr, unser Gott, darauf vertrauen wir, dass deine Gnade über uns täglich neu ist und dass wir aus dieser Zuversicht unser Leben gestalten können.




Pfarrer Stefan Mai

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