Du bist die Herrlichkeit Gottes

Predigt zum Gottesdienst „You are holy“ mit dem Singkreis Intakt

Einleitung
„You are holy“, du bist heilig, dieses Thema hat der Singkreis Intakt für den heutigen Gottesdienst gewählt. Ein altmodisches Thema? Aber jeder von uns weiß, wo unsere Erde hinsteuern würde, wenn Menschen nichts mehr „heilig“ wäre. So möchte uns dieser Gottesdienst anregen, wieder einmal darüber nachzudenken, zu wem oder was wir sagen können: Du bist heilig.

Predigt
Ein großer Satz, den Jesus im Johannesevangelium spricht: „Vater ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast.“
Können Sie das von sich glauben? Ich als Mensch bin die lebendige Ausstrahlung der Heiligkeit Gottes. Ich ein Abglanz der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes?
In einer schweren Lebens- und Glaubenskrise gab der berühmte amerikanische Pastoraltheologe Henri Nouwen seine Universitätsprofessur auf und zog sich sieben Monate in ein Trappistenkloster zurück. In der ersten Zeit seines Aufenthaltes suchte er nach einem geistlichen Leitwort, das ihn in den sieben Monaten des Mitlebens mit den Mönchen begleiten könnte. Der Abt des Klosters, den er um Rat fragte, gab ihm ein seltsames Meditationswort. Er sagte zu ihm: „Machen Sie zum Mittelpunkt Ihres Meditierens das Wort ´Ich bin die Herrlichkeit Gottes´.“ Und er fügte hinzu: „Sie sind der Ort, den Gott sich zur Wohnung erwählt hat, und das geistliche Leben besteht in nicht mehr und nicht weniger als in dem Versuch, ihm den Raum zu verschaffen, in welchem sich seine Herrlichkeit offenbaren kann.“
Ich bin die Herrlichkeit Gottes! Ich, der doch um die eigene Kleinheit, die eigene Schwäche und um die Selbstzweifel weiß? Der sich doch oft nichts Großes zutraut. Ist das nicht maßlose Überschätzung. Und hat nicht unsere Kirche die Menschen Jahrhunderte mit dem Virus geimpft: Ihr seid klein, Sünder, stets der Korrektur bedürftig?
Henri Nouwen ließ sich in einer Lebensphase größter Selbstzweifel auf diesen Satz ein: Ich bin die Herrlichkeit Gottes. Und einen Monat später schreibt er in sein Tagebuch:
„Ich habe die ungeheuer große Freude, ein Mensch zu sein, einer Gattung von Lebewesen anzugehören, in der Gott selbst Fleisch geworden ist. Zwar könnten mich die Schmerzen und Absurdidäten, denen wir Menschen ausgesetzt sind überwältigen, aber jetzt erkenne ich deutlich, was wir in Wirklichkeit alle sind. Könnte doch nur jeder das erkennen! Aber man kann es nicht erklären. Es gibt einfach keine Möglichkeit, den Menschen zu sagen, dass sie alle berufen sind, wie strahlende Sonnen durch die Welt zu laufen.“

Liebe Leser,
der Rat des Trappistenabtes, sich selber das Wort zu sagen: „Ich bin die Herrlichkeit Gottes“ ist sicherlich kein Patentrezept, um sich von allen Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen zu befreien. Aber ob er mir in Momenten, wo ich mir ganz klein vorkomme, nicht doch helfen könnte, mich an meine Würde glauben zu lassen.
Ganz bewusst möchte mir unser Weihrauchritus, den wir nach der Gabenbereitung bei Festgottesdiensten immer vollziehen, wenn die Kirchenbesucher inzensiert werden, dies ins Bewusstsein rufen: „Ich bin die Herrlichkeit Gottes“. Ich werde nie einen Gottesdienst vergessen, wo ein Behinderter bei diesem Ritus ganz laut gerufen hat: „Noch mehr, noch mehr!“ Ich konnte mir damals nur sagen: Du hast verstanden, was wir oft nur gedankenlos über uns ergehen lassen. Du bist heilig. Du bist die Herrlichkeit Gottes.

Fürbitten

Heiliger Gott, wir bitten dich heute:
Lass uns Achtung vor allem haben, was Menschen heilig ist
Öffne unsere Augen dafür, dass wir in der Schöpfung dein Werk erkennen und bewundern
Mach uns alle aufmerksam, die Spuren deiner Herrlichkeit in unserem Lebensalltag zu erkennen
Lass uns Achtung vor der Würde eines jeden Menschen haben, weil du in ihm wohnst
Wir beten für unsere Verstorbenen. ln diesem Gottesdienst denken wir an ….............. Lass sie deine Herrlichkeit schauen


Musikalisch interpretierte Meditation

Im Jahre 1855 hielt der Indianerhäuptling Seattle vor dem Gouverneur des Washington-Territoriums eine tiefsinnige Rede, als man seinem Indianerstamm anbot, das Land abzukaufen und den Indianerstamm in ein Reservat zu schicken. Hören wir in diese emotionale Rede hinein. Sie ist von einem roten Faden durchzogen: Die Schöpfung ist uns heilig.

Der große Häuptling in Washington sendet Nachricht, dass er unser Land zu kaufen wünscht.
Der große Häuptling sendet uns auch Worte der Freundschaft und des guten Willens. Das ist freundlich von ihm, denn wir wissen, er bedarf unserer Freundschaft nicht. Aber wir werden sein Angebot bedenken, denn wir wissen - wenn wir nicht verkaufen - kommt vielleicht der weiße Mann mit Gewehren und nimmt sich unser Land.
Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen - oder die Wärme der Erde? Diese Vorstellung ist uns fremd. Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen - wie könnt Ihr sie von uns kaufen?
Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes. Der Saft, der in den Bäumen steigt, trägt die Erinnerung des roten Mannes.
…...
Wir sind ein Teil der Erde und sie ist ein Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern, die Rehe, das Pferd, der große Adler - sind unsere Brüder. Die felsigen Höhen - die saftigen Wiesen, die Körperwärme des Ponys - und des Menschen - sie alle gehören zur gleichen Familie.
…...
Glänzendes Wasser, das sich in Bächen und Flüssen bewegt, ist nicht nur Wasser - sondern das Blut unserer Vorfahren. Wenn wir Euch Land verkaufen, müsst Ihr wissen, dass es heilig ist und Eure Kinder lehren, dass es heilig ist und dass jede flüchtige Spiegelung im klaren Wasser der Seen von Ereignissen und Überlieferungen aus dem Leben meines Volkes erzählt.
Das Murmeln des Wassers ist die Stimme meiner Vorväter.
Die Flüsse sind unsere Brüder - sie stillen unseren Durst. Die Flüsse tragen unsere Kanus und nähren unsere Kinder. Wenn wir Euch Land verkaufen, so müsst Ihr Euch daran erinnern und Eure Kinder lehren: Die Flüsse sind unsere Brüder - und Eure - und Ihr müsst von nun an den Flüssen Eure Güte geben, so wie jedem anderen Bruder auch.
….
Die Asche unserer Väter ist heilig, ihre Gräber sind geweihter Boden und so sind diese Hügel, diese Bäume, dieser Teil der Erde uns geweiht. Wir wissen, dass der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde, was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern Feind, und wenn er sie erobert hat, schreitet er weiter. Er lässt die Gräber seiner Väter zurück - und kümmert sich nicht. Er stiehlt die Erde von seinen Kindern - und kümmert sich nicht. Er behandelt seine Mutter, die Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern, zum Verkaufen wie Schafe oder glänzende Perlen.
Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als eine Wüste.
Ich weiss nicht - unsere Art ist anders als die Eure. Der Anblick Eurer Städte schmerzt die Augen des roten Mannes. Vielleicht, weil der rote Mann ein Wilder ist und nicht versteht?
Es gibt keine Stille in den Städten der Weißen. Das Geklappere scheint unsere Ohren nur zu beleidigen. Was gibt es schon im Leben, wenn man nicht den einsamen Schrei des Ziegenmelkervogels hören kann, oder das Gestreite der Frösche am Teich bei Nacht. Ich bin ein roter Mann und verstehe das nicht. Der Indianer mag das sanfte Geräusch des Windes, der über eine Teichfläche streicht - und den Geruch des Windes, gereinigt vom Mittagsregen oder schwer vom Duft der Kiefern.
Die Luft ist kostbar für den roten Mann - denn alle Dinge teilen denselben Atem - das Tier, der Baum, der Mensch - sie alle teilen denselben Atem.
Der weiße Mann scheint die Luft, die er atmet, nicht zu bemerken, wie ein Mann, der seit vielen Tagen stirbt, ist er abgestumpft gegen den Gestank.
Aber wenn wir Euch unser Land verkaufen, dürft Ihr nicht vergessen, dass die Luft uns kostbar ist. Der Wind gab unseren Vätern den ersten Atem und empfängt den letzten. Und wenn wir Euch unser Land verkaufen, so müsst Ihr es als ein besonderes und geweihtes schätzen, als einen Ort, wo auch der weiße Mann spürt, dass der Wind süß duftet von den Wiesenblumen.
Das Ansinnen, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken, und wenn wir uns entschließen anzunehmen, so nur unter einer Bedingung: Der weiße Mann muss die Tiere des Landes behandeln wie seine Brüder.
Ich bin ein Wilder und verstehe es nicht anders. Ich habe tausend verrottende Büffel gesehen, vom weißen Mann zurückgelassen - erschossen aus einem vorüberfahrenden Zug. Ich bin ein Wilder und kann nicht verstehen, wie das qualmende Eisenpferd wichtiger sein soll als der Büffel, den wir nur töten, um am Leben zu bleiben.
Was ist der Mensch ohne die Tiere? Wären alle Tiere fort, so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes. Was immer den Tieren geschieht - geschieht bald auch den Menschen. Alle Dinge sind miteinander verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde.
Lehrt Eure Kinder, was wir unsere Kinder lehren: Die Erde ist Eure Mutter. Wenn Menschen auf die Erde spucken, bespeien sie sich selbst.
Denn das wissen wir - die Erde gehört nicht den Menschen - der Mensch gehört der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer Ihr dem Gewebe antut, das tut Ihr Euch selber an.
…....
Unsere Toten leben fort in den süßen Flüssen der Erde, kehren wieder mit des Frühlings leisem Schritt, und es ist ihre Seele im Wind, der die Oberfläche der Teiche kräuselt.
Das Ansinnen des weißen Mannes, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken. Aber mein Volk fragt, was denn will der weiße Mann kaufen? Wie kann man den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen oder die Schnelligkeit der Antilope? Wie können wir Euch diese Dinge verkaufen - und wie könnt Ihr sie kaufen? Könnt Ihr denn mit der Erde tun, was Ihr wollt - nur weil der rote Mann ein Stück Papier unterzeichnet - und es dem weißen Manne gibt? Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen - wie könnt Ihr sie von uns kaufen? Könnt Ihr die Büffel zurückkaufen, wenn der letzte getötet ist?
…...
Gott gab Euch Herrschaft über die Tiere, die Wälder und den roten Mann aus einem besonderen Grund - doch dieser Grund ist uns ein Rätsel.
Vielleicht könnten wir es verstehen, wenn wir wüssten, wovon der weiße Mann träumt - welche Hoffnungen er seinen Kindern an langen Winterabenden schildert - und welche Visionen er in ihre Vorstellungen brennt, so dass sie sich nach einem Morgen sehnen?
Aber wir sind Wilde - die Träume des weißen Mannes sind uns verborgen. Und weil sie uns verborgen sind, werden wir unsere eigenen Wege gehen.
Da ist nicht viel, was uns verbindet.
Doch eines wissen wir - unser Gott ist derselbe Gott. Diese Erde ist ihm heilig. Selbst der weiße Mann kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir doch Brüder. Wir werden sehen.




Pfarrer Stefan Mai

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