Das Fest der kleinen Leute

Predigt zum Ostermontag

Einleitung
Mackie Messer singt in der Dreigroschenoper von Brecht den bekannten Song:
Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht
und man siehet die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht.

Ostern stellt diese Welterfahrung auf den Kopf. Da stehen die im Dunkeln im Fokus. Die großen Namen geraten in den Hintergrund.
Pilatus, Kaiafas, Hannas, die Hohenpriester und Schriftgelehrten treten nicht mehr in Erscheinung. In den Ostergeschichten stehen die im Licht, die sonst im Dunkeln sind.

Predigt
„Doch unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilt und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde.“ Mit diesem Satz bringen die beiden Emmausjünger die große Enttäuschung ihres Lebens auf den Punkt. Ausgerechnet die Spezialisten für Religion, die führenden Köpfe – sie haben den kaltgestellt, auf den sie als kleine Leute ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten. Hätten sie „denen da oben“ nicht doch vertrauen sollen? Drei Tage schon ist er tot – und nichts ist passiert. Vielleicht war dieser Jesus doch ein Verführer.
Das ist es, was den namenlosen Emmausjüngern durch den Kopf geht, als sie enttäuscht ihre Zelte in Jerusalem abbrechen. Kleine Leute lassen sich einfach schnell aus der Bahn werfen und an sich selbst zweifeln. Sie trauen oft ihrem eigenen Urteil nicht – und schielen dann gerne nach „denen da oben“, die es eigentlich besser wissen müssten.
Doch das ist erstaunlich: Alle Ostergeschichten erzählen davon, dass Jesus nur diesen kleinen Leuten erscheint: den Frauen, den Fischern, den beiden Enttäuschten aus Emmaus. Dem Zweifler Thomas.
Keine einzige Geschichte erzählt davon, dass Jesus der hohen Geistlichkeit erschienen ist. Der Auferstandene bestärkt diejenigen, die von Anfang an gemerkt haben: „Mit seinen Ideen bricht eine neue Welt an.“

Der Auferstandene erscheint den kleinen Leuten. Ostern beginnt ganz unten. Bei denen, die gespürt haben: Wenn wir gemeinsam umsetzen, wovon er geträumt hat, dann beginnt eine neue, menschlichere Welt zu wachsen.
Liebe Leser, nach einer Predigt vor zwei Jahren, in der ich angesichts der schwierigen Lage in der Kirche behauptet hatte: „Die Kirche ist krank“, sagte mir ein alter Mann nach dem Gottesdienst: „Herr Pfarrer, nicht die Kirche ist krank. Sondern die da oben sind krank. Wir einfachen Leute nehmen doch unseren Glauben ernst.“
Wie Recht dieser Mann hatte. Das Emmaus-Evangelium bestätigt ihn: „Unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilt und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft …“ Es gilt damals wie heute: Auferstehung der Kirche beginnt bei den kleinen Leuten.

Fürbitten
Wir beten heute einmal für alle Kleinen und Großen in unserer Kirche:
V/A: Herr, erbarme dich!
Für alle, die hohe Verantwortung tragen in unserer Kirche und Leitungsämter innehaben …
Für alle Frauen und Männer, die in unseren Pfarrgemeinden mitarbeiten und mitdenken …
Für alle, die im Hintergrund still und unbemerkt anderen Menschen Gutes tun
Für alle, die sich furchtbar wichtig nehmen und jede gesunde Selbsteinschätzung verloren haben
Für alle, die meinen, anderen vorschreiben zu müssen, was sie glauben und tun müssen
Für alle, die aus Angst vor dem Urteil anderer ihre Anlagen und Begabungen überhaupt nicht verwirklichen können
Für die Kranken, die Schmerzen und Schwäche geduldig ertragen – und so uns Gesunden ein Vorbild sind


Pfarrer Stefan Mai

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