Nicht mehr wiederzuerkennen!

Predigt zum Ostersonntag

Einleitung
„Das neue Morgenrot erglüht“ – das schmettern wir bei uns in Franken aus Herzenslust. Alle Osterlieder singen vom „neuen“ Leben.
Aber wir wissen: Es ist gar nicht so leicht, sich auf Neues einzulassen. Einen Schnitt zum Alten zu setzen und neu zu beginnen.
Aber gerade darum geht es an Ostern.

Predigt
Es gibt eine berühmte Kurzgeschichte von Bert Brecht, in seiner Geschichtensammlung vom Herrn Keuner. Sie ist überschrieben mit dem Titel „Das Wiedersehen“.
Brecht erzählt:
Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“
„Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte.


Normalerweise gilt das als ein schönes Kompliment, wenn mir jemand, der mich lange nicht gesehen hat, sagt: Oh, du hast dich aber gar nicht verändert. Ich glaube es zwar nicht, aber es tut gut.
In Brechts Keunergeschichte ist das anders: „Du bist immer noch der Alte“ – diese Feststellung jagt Herrn Keuner einen Schrecken durch die Glieder. Sich nicht verändern heißt für ihn: Stillstand. Nicht gelebt. Tot.

Die Ostergeschichte von Maria von Magdala ist eine Gegengeschichte dazu. Auch hier treffen sich zwei alte Freunde. Vor drei Tagen haben sie sich noch gesehen. Und siehe da: Maria von Magdala erkennt ihren alten Freund nicht wieder. Sie hält Jesus für den Gärtner. Erst, als sie die vertraute Stimme ihren Namen aussprechen hört – fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Ihr Freund ist ein ganz anderer geworden.

Auch das gibt es heute noch im Alltag. Ich habe von einem Menschen ein bestimmtes Bild. Ich traue ihm bestimmte Dinge zu. Und weiß genau: Für anderes ist er nicht zu gebrauchen. Manchmal denke ich mir: Was kann aus dem schon noch werden?
Und dann treffe ich ihn nach ein paar Jahren wieder. Ich traue meinen Augen nicht: Der Gleiche, nicht mehr wiederzuerkennen. Keine Spur von Schüchternheit. Zupackend. Sicher. Dem Leben und den Menschen gegenüber aufgeschlossen. Voller Optimismus. Nicht mehr wiederzuerkennen.
Unglaublich: Da hat einer eine Wandlung durchgemacht. Ist ein anderer geworden. Ich hätte ihn beinahe nicht mehr wiedererkannt. Ob das nicht eine Ostergeschichte unserer Tage ist?
Auch hier heißt es, wie an Ostern: Unglaublich, aber wahr!

Fürbitten
Herr, wir bitten dich für Menschen, auf die Neues zukommt:
V/A: Hilf ihnen beim Neuanfang!
- Menschen, die eine neue Arbeitsstelle antreten
- Menschen, die einen Wohnortswechsel vor sich haben
- Menschen, die bewusst eine Auszeit nehmen, um sich neu zu orientieren
- Menschen, die nach einem langen Streit wieder neuen Kontakt zueinander suchen
- Menschen, deren Ehe gescheitert ist und die sich auf eine neue Beziehung einlassen
- Menschen, die wieder in die Kirche eintreten
- Menschen, die in diesen Tagen vom Arbeitsleben Abschied nehmen und pensioniert werden


Pfarrer Stefan Mai

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