Tanz auf dem Labyrinth

Predigt zur Osternacht 2014

Einleitung am Feuer
Wenn wir als Christen gefragt werden: Was bedeutet Ostern? – dann kommen wir schnell ins Stottern. Klüger als alle wortlastigen Erklärungsversuche wäre es zu sagen: Schau dir doch die Symbole der Osternacht an.
Eine kleine Flamme in der Nacht.
Licht, das sich in der dunklen Kirche ausbreitet und die Finsternis vertreibt.
Wasserspritzer, die müde Geister aufwecken sollen.
Glockengeläut, strahlende Orgelklänge und Weihrauchduft.
Im Mittelalter war die Symbolik noch viel reicher. Da gab es das obligatorische Ostergelächter: Pfarrer mussten so lange Witze reißen, bis alle schallend lachten. Und es gab einen ganz besonderen Tanz, von dem ich in der Predigt wenigstens erzählen möchte.
Symbole wollen immer die Augen öffnen und spüren lassen, was man nicht in Worte bringen kann.

Lesung aus dem Buch Exodus (3. Lesung)
Zwischengesang: 395, 1.3
Lesung aus dem Buch Baruch (6. Lesung)
Zwischengesang: 381, 1+2
Lesung aus dem Buch Ezechiel (7. Lesung)
KV: Sende aus, deinen Geist (645,3) + Ps 104,5+6


Predigt
Labyrinthe sind heutzutage „in“. Sie werden in Maisfeldern angelegt oder aus riesigen Strohballen gebaut. Es ist Mode geworden, in kirchlichen Bildungshäusern Steinlabyrinthe im Garten anzulegen. Und es gibt Kirchengemeinden, die das Kirchengestühl aus der Kirche räumen, auf dem Fußboden ein Labyrinth aufzeichnen – und die Besucher einladen, die verschlungenen Wege des Labyrinths abzugehen und dabei über die verschlungenen Lebenswege nachzudenken.
Diese modernen Labyrinthe greifen auf eine mittelalterliche Tradition zurück. In den großen gotischen Kathedralen Frankreichs, in Chartres und Amiens, sind sie bis heute zu sehen: kunstvoll als Steinornament in den Fußboden gelegt. Die Pilger kamen in diese großen gotischen Kirchenhallen und rutschten betend die verwirrenden Gänge des Labyrinths ab. Sie wollten symbolisch ins Zentrum vordringen und dadurch für sich erlebbar machen: Mit allem, was mich bedrückt, und mit allen Irrwegen meines Lebens werde ich einmal im Zentrum bei Gott ankommen.
So ging es alle Tage. Aber an einem Tag des Jahres war es anders. Am Ostersonntag. Da durchrutschte kein bußfertiger Pilger das Labyrinth. Da stellte sich der Bischof mit seinem Domkapitel um das Labyrinth herum. Der jüngste Priester reichte ihm einen großen Ball. Und dann begann der Bischof, im Walzertakt über die Irrwege des Labyrinths zu tanzen.
Dabei warf er den Ball einem der Domkapitulare zu und lud ihn so zum Mittanzen ein. Dieses Spiel wiederholte sich so lange, bis alle über die Labyrinthwege hinwegtanzten.
Alle, die das Osterevangelium gehört hatten, sahen im zugeworfenen Ball die Ostersonne, die Licht ins Leben – und Menschen wieder neu in Bewegung bringt.
Ein Labyrinth – ein Tanz – ein Ball: ein sichtbare Osterpredigt. Die verschlungenen und verworrenen Wege des Lebenslabyrinths bleiben. Sie werden nicht einfach begradigt. Schicksalsschläge und Sackgassen gehören auch weiterhin zu meiner menschlichen Existenz. Vieles in meinem Leben wird auch weiterhin unverständlich bleiben.
Aber: Der umherfliegende Ball sagt mir: Starr nicht nur auf die Sackgassen und verschlungenen, schwierigen Wege deines Lebens. Schau auch nach oben. Lass dich durch die Osterbotschaft einladen, neue Schritte zu wagen. Stoß dich nicht andauernd an den Mauern, die dir das Leben eng machen, sondern vertrau darauf: Über dir gibt es einen, der wieder Bewegung und neue Möglichkeiten in dein Leben bringen will.

Fürbitten
Ostern: Ein Labyrinth – ein Ball – ein Tanz. Herr, unser Gott, wir bitten dich:
Wenn die Schritte im Leben schwer werden, wenn wir uns an Mauern stoßen und wir keinen Lichtblick mehr sehen – dann lass uns darauf vertrauen:
KV: Du führst mich hinaus ins Weite, du machst meine Finsternis hell (629,1)
Wenn es in der Seele finster wird und die Lebensfreude schwindet; wenn Schicksalsschläge unser Leben dunkel werden lassen – dann lass uns darauf vertrauen: KV
Wenn Angehörige schwer krank werden; wenn Menschen, die wir kennen, von großen Sorgen gequält werden – und wir hilflos danebenstehen – dann lass uns darauf vertrauen: KV
Wenn die Lebenskraft nachlässt und die Energie schwindet; wenn die Lebenskreise immer enger werden und das Leben einsamer wird – dann lass uns darauf vertrauen: KV
Wenn wir um Tote trauern müssen; wenn wir unsere Verstorbenen sehr vermissen und mit einem leeren Platz an unserer Seite leben müssen – dann lass uns darauf vertrauen: KV


Pfarrer Stefan Mai

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