Die letzten sieben Worte Jesu am Kreuz

Predigt zum Karfreitag 2014

Wer schon einmal beim Sterben eines Menschen dabei gewesen ist, weiß es: Es sind die letzten Gesten und die letzten Worte, die sich besonders tief in die Erinnerung einprägen.
Von Jesus werden uns in den vier Evangelien verschiedene letzte Worte überliefert. Im Markus- und Matthäusevangelium stirbt Jesus mit einem Aufschrei am Kreuz. Im Lukas- und im Johannesevangelium sind es Worte der Ergebenheit. Seit der Barockzeit hat sich eine Andachtsform für die Mittagsstunden des Karfreitag entwickelt, in der die letzten sieben Worte Jesu am Kreuz in eine Reihenfolge gebracht und meditiert werden.
Worte Sterbender sind oft aus einer langen Lebenserfahrung gesprochen. Ich möchte heute am Karfreitag die Sterbeworte Jesu bedenken und mich fragen: Was sagen sie mir für mein Leben heute?
„Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Lk 23,46) – aus dem Off
Jesus betet diesen Satz als gläubiger Jude. Es ist sein tägliches Abendgebet, das er auch am Abend seines Lebens spricht. Juden stellen sich vor, dass sie jeden Abend ihren Lebensgeist in Gottes Hände übergeben. Und sie hoffen, dass Gott am nächsten Morgen ihnen den Lebensgeist wieder übergibt und sie aufwachen lässt.
Welche Lebenskunst, jeden Tag bewusst als ein Geschenk annehmen.
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun…“ (Lk 23,34)
Das Leben geht nie glatt. In jedem Leben gibt es Auseinandersetzungen. Böse Worte fallen. Es gibt Menschen, die mich verletzen, ja vielleicht sogar piesacken, die mir ständig auf die Nerven gehen, mit denen ich im Unreinen bin, die ich am liebsten – wenn ich dürfte – auf den Mond schießen würde.
In jedem Leben gibt es das: die Brüche, die Verwundungen, die Narben, die bleiben.
Aber am Ende wird nur der zufrieden und ruhig leben können, der auch verzeihen kann; der nicht jeden Tag und bei jeder Gelegenheit die alten Kamellen hoch kocht. Der auch was er als Unrecht empfunden hat ruhen lassen kann. Der sich bewusst ist: Vielleicht haben andere auch mir zu vergeben.
Und es ist hohe Lebenskunst, wenn ich den anderen sogar ins Gebet nehmen kann. Denn ich weiß nicht, warum er mir das angetan hat.
„Frau, siehe, dein Sohn – Siehe, deine Mutter“ (Joh 19,27)
Wie oft heißt es an Sterbebetten: „Passt mir auf die Mutter auf!“ oder: „Kümmert euch um unser Sorgenkind!“ Sterbende sehen das besonders deutlich: Leben geht nur gut, wenn die Generationen sich die Hände reichen, wenn sich zuerst die Eltern um die Kinder kümmern – und später die großgewordenen Kinder ihre alt gewordenen Eltern nicht vergessen. Wenn die Stärkeren sich der Schwächeren annehmen und sie ein Stück weit mittragen.
„Wahrlich ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43)
Es gibt immer Lebensphasen, in denen man meint: Es geht alles schief. Alles geht den Bach runter. Alles, worum ich mich bemühe – nichts fruchtet. Wie gut tut es dann, ein Wort der Hoffnung hören zu dürfen. Jemanden zu haben, der mich aus dem Loch herausholt.
Es ist schon etwas dran an dem Spruch: Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selber geben. Es muss dir ein anderer sagen.
Und hoffentlich klingt mir auch im Sterben so ein Hoffnungswort im Ohr: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“
„Mich dürstet“ (Joh 19,28)
Ja, so ist es. Solange ich Hunger und Durst habe, lebe ich. Wie schön ist es, wenn ich Lebenslust spüren darf: Hunger und Durst auf Neues habe. Wenn ich schöne Augenblicke genießen kann.
Wie schön ist es, wenn auch ein alter Mensch noch sagen kann: Ich bin gespannt, was noch alles in meinem Leben geschehen wird, was noch alles auf mich zukommt. Ich möchte es bis zum letzten Augenblick ausschöpfen.
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15,34)
Jesus stirbt nicht als Held am Kreuz. Er stirbt mit einer himmelsschreienden Klage.
Auch das gehört zum Leben: Ich muss nicht alles schweigend als Dulder Hiob hinnehmen. Ich darf meinen Schmerz und meine Enttäuschung hinausschreien – vor Gott.
Wie oft habe ich im Beichtstuhl schon gehört: „Habe mit Gott gehadert.“ Aber das kann man doch an Jesus ablesen: Wer so seine Not vor Gott zur Sprache bringt, der hadert nicht mit ihm, sondern wirft im Gebet seinen letzten Rettungsanker auf ihn.
„Es ist vollbracht“ (Joh 19,30)
Kennen Sie das Gefühl: Ich bin mit meiner Arbeit heute fertig geworden. Ich habe etwas abgeschlossen, wofür ich viel Zeit, Kraft und Lebensenergie investiert habe. Ich habe etwas erreicht, was ich mir lange als Ziel gesteckt habe.
Kennen Sie das Gefühl, in Zufriedenheit auf Vollbrachtes zurückzuschauen?
Und ob man nicht auch das lernen muss, auch Unvollendetes aus der Hand zu geben, ruhen lassen zu können, wozu ich keine Kraft und Energie habe? Ob man das nicht lernen muss, um dann am Ende auch sein Leben, das nie ganz vollendet sein wird, aus der Hand geben zu können?


Pfarrer Stefan Mai

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