Die Konkurrenz schläft nicht

Predigt zu Mt 5,17-26 (A/6)

Einleitung
„Der Töpfer hasst den Töpfer. Der Baumeister hasst den Baumeister. Der Bettler meidet den Bettler. Der Sänger den Sänger.“ So schreibt schon der griechische Dichter Hesiod im 7. Jh. v. Chr. Plastisch bringt er die Erfahrung auf den Punkt: Menschen fühlen sich durch Konkurrenz bedroht.
Aber kann Konkurrenz nicht auch anstacheln? Der Evangelist Matthäus würde sagen: Aber sicher!

Predigt
Ein paar Freundinnen gehen am Abend aus. Mit staunenden Augen und süffisanten Worten wird Marion begrüßt: „O, du hast dich heute aber fein rausgeputzt!“. Ihr Kommentar: „Ihr wisst doch, die Konkurrenz schläft nicht.“ Alles schmunzelt.

Man muss mithalten, wenn man die Nase vorn haben und attraktiv bleiben will. Das gilt nicht nur für ein adrettes Aussehen. Unsere ganze Zeit ist von Wettbewerb geprägt.
„Schneller, höher, weiter“ - heißt es z.Zt. wieder bei den Olympischen Winterspielen in Sotchi. Und oft entscheiden bei der Vergabe von Gold und Silber nur ein paar hundertstel Sekunden.
Der Wettbewerb in der Wirtschaft verschärft sich zunehmend, und wer sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausruht, der gehört der Katz/wird schnell von den anderen gefressen: größer, billiger, immer wieder das Neueste. Damit kannst du punkten und die anderen schachmatt setzen.
Im beruflichen Bereich schaut es nicht viel anders aus: den anderen überflügeln, schneller sein, besser auftreten können, bessere Beziehungen nach oben haben, sich gut verkaufen können, Durchsetzungskraft zeigen – das kann dich nach vorne bringen.
Man sollte meinen, dieses Denken in Konkurrenz: wie kann ich andere ausstechen und übertrumpfen, wie kann ich vorne dran sein, hat mit Glaube und Religion nichts zu tun. Aber man höre und staune. Das heutige Evangelium schürt gerade diesen Konkurrenzgedanken und stachelt förmlich dazu auf. Da hören wir die Worte: „Ich sage euch, wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
Im Matthäusevangelium sind die Pharisäer für die jungen Christen eine ernst zu nehmende Konkurrenz.
Sie haben klare Regeln. Sie wissen überall Bescheid. Geben sich klug und gelehrt. Haben handfeste Ratschläge. Versuchen, Glaube mit dem Leben zu verbinden – und haben eine lange Tradition hinter sich. Und das scheint für viele in der Gemeinde attraktiv zu sein.
Im Matthäusevangelium jedoch sind sie die Buhmänner. Es gibt fast ein ganzes Kapitel mit Weherufen auf diese Konkurrenten: „Weh euch, ihr Pharisäer ...!“ Da wird ihnen an den Kopf geworfen, was bei ihnen alles nicht in Ordnung ist und warum sie unglaubwürdig wirken. Eigentlich ist es nur eine gnadenlose Warnung davor, zu diesen Konkurrenten überzulaufen, zu diesen Heuchlern und Scheinheiligen, wie sie auch genannt werden.
Aber der Evangelist Matthäus hat sehr wohl gemerkt: Schimpfen allein genügt nicht. Man muss ein positives Angebot machen. Man muss genau sagen können, worin der eigentliche Mehrwert des Eigenen besteht. Nur dann braucht man vor den Konkurrenten keine Angst zu haben.
Und das versucht Matthäus: den Mehrwert der jungen christlichen Glaubensbewegung hervorzukehren. Und dafür führt er die Behauptung Jesu ins Feld: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht viel mehr wert ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen.“
Mit „Gerechtigkeit“ ist hier aber nicht gemeint: die Gesetze noch genauer auslegen, noch strenger sein als die Pharisäer, auf Buchstaben herumreiten.
Mit Gerechtigkeit ist das rechte Tun gemeint. Das glaubwürdige Alltagsverhalten. Kurz: ein Leben nach der Bergpredigt. Knapp auf den Punkt gebracht: den anderen zu seinem Recht kommen lassen. Nicht heruntersetzen, nicht ausspielen, nicht auf die Straße setzen, nicht hinters Licht führen, ehrlich sein, auch Konflikte durchtragen, mit sich selbst kritischer umgehen als mit den anderen – und vor allem eines: die innere Gesinnung muss stimmen, denn sie bestimmt das Handeln.
Das ist die „Gerechtigkeit: ein menschengerechtes Verhalten. Und darin sollen die Jünger Jesu glänzen, dadurch sollen sie auffallen, besser sein als die anderen.
Auch heute ist das Christentum zum Wettbewerb herausgefordert. Wo sind die Gottesdienste attraktiver? Wo sind die Predigten lebensnäher? Wo sind die Hürden niedriger? Auch interreligiös gibt es harte Konkurrenz: Buddhistische Meditation zieht viele an, die sich gestresst fühlen. Ein apersonales Gottesbild entlastet von einem oft vermittelten autoritären und strafenden Gottesbild.
Gesellschaftlich hat sich die Wellness-Religion etabliert. Und das Wohlfühl-Wochenende mit einem Brunch am späten Vormittag oder entspannenden Massagen sind für viele weitaus attraktiver als der Gang zum Sonntagsgottesdienst.
In dieser Situation macht uns der Evangelist mit seinen Worten klar: Christentum, Kirche wird immer mehr im Wettbewerb gesehen. Es wird immer stärker gefragt werden: Was hat es inhaltlich zu bieten? Und es wird immer kritischer werdende Menschen nur überzeugen, wenn der "Mehrwert" des Christentums erlebt wird und Christen die „größere Gerechtigkeit“ auch mit Lebens-Inhalt füllen.

Fürbitten
Herr unser Gott, nicht nur unser Glaube fordert uns heraus, sondern auch die Strömungen unserer Zeit. Wir bitten dich:

Lass uns selbst erkennen, wozu und wofür der Glaube uns eine Hilfe ist

Schenke allen, die als Verlierer aus einem gnadenlosen Konkurrenzkampf hervorgehen, Mut zu einem Neuanfang

Lass uns fähig sein, anderen Menschen Gutes zu wünschen und ihnen Gutes zu gönnen

Lass die vielen konkurrierenden Angebote unserer Gesellschaft für uns als Kirche ein Ansporn sein, um neue Kreativität und Phantasie zu entwickeln, das Evangelium heute glaubwürdig zur Sprache zu bringen.

Schenke all unseren Verstorbenen dein gütiges Erbarmen.

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.



Pfarrer Stefan Mai

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