Es war keine Liebe drin

Predigt zum Kammerforster Patrozinium St. Valentin

Eine Altenheimseelsorger erzählt: Es war an einem Tag kurz vor Weihnachten. Ich machte einen Rundgang durch das Altenheim. Ein alter Herr hatte vor einer Viertelstunde Paketpost empfangen, darum wunderte ich mich nicht, dass auf mein Klopfen zunächst keine Antwort kam. „Aha, das Weihnachtspaket!“ dachte ich.
Tatsächlich, als ich nach einem „Herein!“ eintrat, stand der alte Herr vor dem Tisch und stocherte in dem eben geöffneten Paket. Man sah auf den ersten Blick, dass es ein reiches Paket war. Damals litten alle Leute Not und Mangel. Es war die Hungerzeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch in diesem Paket sah man Zigarren, Tabak, Cognac, Rotwein, gefütterte Schuhe, warme Sachen, alles was man nur ersehnen konnte. Im Gesicht des alten Herrn aber war kein Fünkchen Freude zu sehen. „Aber, Herr Huber“, sagte ich jetzt, „wie kann man vor solch einem Weihnachtspaket nur so ein trauriges Gesicht machen? Da ist doch alles Gute drin!“
Da sah mich der alte Herr an und sagte: „Da ist keine Liebe drin!“
Dann begann er von seiner Tochter zu erzählen. Sie war eine reiche Geschäftsfrau. Das Paket hatte sie von ihren Angestellten packen lassen. Sie hatte eine vorgedruckte Weihnachtskarte geholt und darunter geschrieben –„Deine Tochter Luise und dein Schwiegersohn“. Sonst nichts, kein persönlicher Weihnachtswunsch, keine Ankündigung eines Besuches, keine Einladung. Die bestens ausgesuchten Geschenke waren Stück für Stück noch mit dem Preisschild versehen, damit der alte Vater merken sollte, was man für ihn ausgegeben hatte.


Er hatte recht: „Es war keine Liebe drin.“

Da ist keine Liebe drin! Da kann das Geschenk noch so groß sein. Aber wenn ich merke, da hat sich einer wenig Gedanken gemacht beim Verschenken, hat nicht versucht, sich in mich hineinzudenken, hat sich nicht gefragt, was passt zu mir, was könnte mich freuen, dann verliert das Geschenk seinen Glanz.

Da ist keine Liebe drin! Da kann ein neues Haus dastehen. Alles top und vornehm sein, die Architektur bestens durchdacht, die Haustechnik auf neuestem Stand. Aber was in diesem Haus fehlt, ist die menschliche Wärme, das wohlige Gefühl von Geborgenheit.

Da ist keine Liebe drin. Er hat beruflich alles erreicht. Die letzte Karrierestufe seines Berufszweiges erklommen. Aber es ist einsam um ihn herum geworden. Er wird wegen seines Könnens bewundert, wegen seiner Machtkompetenz gefürchtet. Er spürt: In meinem Leben fehlt etwas, ein natürlicher und warmer Umgangston.

Mich wundert es nicht, dass in den letzten zehn, zwanzig Jahren unser Kirchenpatron, der hl. Valentin, es vor allem in den reichen Industrieländern geschafft hat, aus einem Schattendasein wieder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu rücken. Der Tag des hl. Valentin transportiert nämlich die Sehnsucht nach Liebe und Wärme im Leben. Und er macht eines bewusst. Mag ein Leben noch so voll sein, mag ein Mensch alles haben und erreicht haben, das ist noch lange keine Lebensqualität. Das Leben gewinnt an Größe und Sinn, wenn Liebe drin ist.


Pfarrer Stefan Mai

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