Schein und Sein

Predigt zu Mt 5,13-16 (A/5)

Einleitung
An den kommenden Sonntagen werden wir die Texte aus der Bergpredigt hören, die uns manchmal zu überfordern scheinen.
Mir kommt vor: Der Evangelist Matthäus hat das gespürt. Und deshalb nimmt er uns an die Hand und führt uns wie durch ein doppeltes Portal zu diesen fordernden Texten. Das erste Portal sind die Seligpreisungen. Und das zweite Portal sind die Sprüche vom Salz und vom Licht, die wir heute hören. Ihr gemeinsamer Tenor lautet: Ihr seid was! Und Ihr könnt was!

Predigt
Es regt mich manchmal auf: das Dauerlächeln bei Bedienungen und Verkäufern. Künstlich antrainiert. Reine Verkaufstechnik. Ich weiß: Es wird von oben diktiert. Die Mitarbeiter werden eigens dafür geschult – und belohnt. Am Ende zählen die Erfolgsquoten. Und doch stelle ich es mir sehr schwer vor, dieses „keep-smiling“ den ganzen Tag durchzuhalten. Tag für Tag! Und ich beobachte: Kaum ist ein Kunde vorbei, fällt das freundliche Gesicht zusammen. Verständlich: Für einen Augenblick relaxen, bis der nächste Kunde kommt.
Äußerer Schein und die innere Haltung passen nicht zueinander.
Genau das ist der Punkt, auf den es Matthäus in seinem Evangelium heute ankommt. Auch er sagt: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Mit euch kann man Reklame machen. Mit euch kann man sich sehen lassen. Ihr seid anziehend. Und wenn ihr etwas ausstrahlt, dann werdet ihr merken: Das wirkt. Das zieht andere an. Das hat Leuchtkraft. Und es wäre dumm, sich zu verstecken.
Allerdings: Ein großes ABER steht davor: der Salzspruch. „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr. Es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten.“ Matthäus meint: Ihr könnt nur Licht sein, anziehend für andere, wenn ihr zugleich Salz seid. Was soll das bedeuten?
Salz soll Speisen würzig und haltbar machen. Menschen, die in diesem Sinn Salz sind, machen das Leben würzig und schmackhaft, bringen Pfiff ins Leben – und machen es am Ende nachhaltig.
Matthäus in seiner Sprache würde sagen: Menschen, die „Salz“ sind, die befolgen die Bergpredigt: die engagieren sich für andere; die bleiben bei der Wahrheit; die setzen sich für Gerechtigkeit ein; die deuten nicht mit dem Finger auf andere, sondern kehren vor der eigenen Haustüre; die machen keine großen Sprüche und stellen sich nicht in den Vordergrund, sondern packen an, wo sie gebraucht werden. Menschen, die „Salz“ sind, deren Glauben erkennt man nicht an langen Gebeten oder bestimmten Gewändern, sondern ganz einfach daran, dass sie mit Gelassenheit und Zuversicht leben – und nicht gleich in Angst versinken oder hinter jeder Ecke den Teufel sehen.
Matthäus sagt: Wenn ihr so Salz seid, dann braucht ihr nicht viel zu reden, keine Grundsatzdebatten zu führen und keine Reklame für euch zu machen. Dann werden die Menschen von ganz alleine auf euch aufmerksam – und sie werden sich fragen, woher ihr solche Kraft habt.
Für Matthäus ist klar: Echte äußere Ausstrahlungskraft mit Langzeitwirkung kommt von der inneren Einstellung.
Liebe Leser,
manchmal sind für mich ganz einfache Menschen die größten Lehrer. Vor ein paar Tagen bin ich einem solchen begegnet. Nicht in der Kirche. Es war ein Mann an der Kasse im Restaurant eines Kaufhauses. Als ich mich mit meinem Tablett anstellte – es war schon halb zwei –, hatte der Mann zwei Stunden Hauptbetrieb hinter sich, aber er strahlte eine auffällige Ruhe aus, wirkte überhaupt nicht gestresst, wartete geduldig mit einem Lächeln, wenn jemand seine Kreditkarte nicht zur Hand hatte und in der Tasche herumzukramen begann, hatte noch ein gutes Wort auf den Lippen und wünschte guten Appetit.
Angelernt? Gute Schauspielerei? Pure Verkaufstaktik?, fragte ich mich. Nein! Das zeigte sich mir: Als ich nach dem Essen aufstand und mein Tablett in die Hand nehmen wollte, da kam dieser Mann mit dem gleichen freundlichen Gesicht wie vorher scheinbar zufällig vorbei und griff nach meinem Tablett. Auf meinen Einwand: „Das kann ich doch selbst wegtragen!“, meinte er: „Ach, das passt gerade. Schauen Sie: An der Kasse steht gerade niemand an. Ich habe Zeit.“ Nahm das Tablett und trug es weg.
Ich spürte: Da hat einer nicht Freundlichkeit gespielt. Das war echt. Das war von innen gedeckt.

Fürbitten
Herr, unser Gott, uns wurden heute die großen Worte zugesagt: „Ihr seid das Salz der Erde!“, „Ihr seid das Licht der Welt!“ Das ist ein Auftrag an uns, nicht nur deinem Segen zu vertrauen, sondern uns auch gegenseitig zu ermutigen:
- Sagt allen, deren Leben langweilig und eintönig geworden ist: Ihr seid das Salz der Erde!
V/A: Gib uns die Kraft dazu!

- Sagt allen, die einen Sinn und eine Aufgabe in ihrem Leben suchen: Ihr seid das Salz der Erde!
V/A: Gib uns die Kraft dazu!

- Sagt allen, die sich über ihre „ungenießbaren“ Mitmenschen beklagen: Ihr seid das Salz der Erde!
V/A: Gib uns die Kraft dazu!

- Sagt allen, die an sich selbst zweifeln und wenig Zutrauen zu sich haben: Ihr seid das Licht der Welt!
V/A: Gib uns die Kraft dazu!

- Sagt allen, die ihr Glaubenslicht unter den Scheffel stellen: Ihr seid das Licht der Welt!
V/A: Gib uns die Kraft dazu!


Pfarrer Stefan Mai

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