Sieht das Alter weiter?

Predigt zum Lichtmesstag 2014 (Lk 2,22-40)

„Wer ist denn noch in der Kirch? Lauter alte Leut´“, so hört man manchmal die Leute reden.
Es stimmt auch, wir brauchen uns nur umzuschauen: Der Großteil der Gottesdienstbesuchern ist über 70. Und wir müssen zugestehen: Unter 50 sind die Kirchenbesucher inzwischen recht dünn gesät.
„Wer ist denn noch in der Kirch? Lauter alte Leut´“, so hört man manchmal die Leute reden. Hinter einem solchen Satz schwingt oft im Munde alter Menschen die Enttäuschung mit, dass scheinbar das, was ihnen wertvoll ist, von den jüngeren Generationen nicht mehr geteilt wird. Kommt er aus dem Mund von Jüngeren, hört man leicht den lächelnden Unterton heraus: „Na ja, die Kirche betuttelt noch die Alten, bei den Jungen hat sie eh keine Chance mehr!“

Ja, je älter unsere Gesellschaft wird, desto virulenter wird die Frage: Was zählt der Mensch noch im Alter? Was traut man den alten Menschen noch zu, wenn sie aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. Wozu sind sie noch da, wenn die Kräfte nachlassen, ja wenn sie vielleicht nichts mehr tun können?
Es macht mich stutzig: Ausgerechnet zwei alte Menschen begegnen im heutigen Evangelium den jungen Eltern und dem kleinen Jesus im Tempel. Ein alter Mann und eine alte Frau. Es ist Simeon, der in dem kleinen Armeleute-Kind dem großen Lichtblick seines Lebens und der großen Hoffnung für Israel und alle Völker in die Augen schaut. Er erlebt es als das größte Geschenk, die Nähe dieses Kindes auf seinen Armen zu spüren. Und diese Beziehung zum Kind ist die Freude des Alters und lässt ihn - wie er sagt - in Frieden aus dieser Welt gehen.
Und da ist die alte Witwe Hanna. Auch sie hat sich die langen und schweren Jahre ihres Witwendaseins hindurch die Hoffnung bewahrt und in den Mühen und Enttäuschungen durchgetragen. Die Begegnung mit dem Kind lässt auch sie nochmals aufleben und zuversichtlich in die Zukunft schauen.
Die zwei Alten rühren mich an. Was scheinbar viele im Tempel einfach übersehen, wovon die anderen keine Notiz nehmen, darin erkennen sie ihren Lebenssinn und daraus schöpfen sie ihre Lebenshoffnung. Und das lässt sie mit sich in Frieden sein, mit positivem Blick auf die junge Generation und in die Zukunft schauen.

Liebe Leser!
„Wer ist denn noch in der Kirch? Lauter alte Leut´“, so hört man manchmal die Leute reden.
Ein Sprichwort aus Nigeria sagt: „Was ein Alter im Sitzen sieht, kann ein Junger nicht einmal im Stehen erblicken.“
Auch das heutige Evangelium wirft ein anderes Licht auf die alten Kirchenbesucher. Vielleicht sind gerade sie die Menschen, die eine Hoffnung durchtragen, die für junge Menschen heute einmal wichtig werden kann. Und vielleicht sehen sie aus der Erfahrung ihrer Lebens- und Leidensgeschichte klarer, was einem Leben tiefen Sinn und letzten Halt geben kann.


Pfarrer Stefan Mai

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