Den Glaubensstab weitergeben

Predigt zu Mt 4,12-23 (A/3)

Einleitung
Kirche ist bekannt dafür, die Hüterin von Tradition zu sein. In der Kirche werden altes Wissen und uralte Rituale bewahrt.
Aber es lässt aufhorchen, dass im Lateinischen „Tradition“ von tradere (die Lateiner werden sich erinnern) „überliefern“ heißt – im Sinn von „weitergeben“ und von „verraten“. Zum Traditionsprozess gehört der Verrat dazu.
Wer Tradition wirklich pflegen will, muss auch bereit sein, von ihr abzuweichen und sie zu verändern, um sie in ihrem inneren Sinn „bewahren“ zu können.

Predigt
Wer das Matthäusevangelium von vorne liest und an die Stelle kommt, die wir heute gehört haben, wird sich denken: Das hab‘ ich doch schon einmal gelesen, was Jesus da (in Kapharnaum) predigt: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 4,17).
Und wer zurückblättert, stellt schnell fest: Haargenau das Gleiche hat Johannes gepredigt, als er in der Wüste aufgetreten ist: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 3,2).
Johannes und Jesus verkünden die gleiche Botschaft. Und das hat einen inneren Grund: Jesus hat die Botschaft des Täufers gehört und sich von ihm taufen lassen. Dann trägt er seine Botschaft selbst weiter.
Mit einem Bild aus dem Sport gesagt: Wir schauen einem Staffellauf zu. Johannes gibt den Stab an Jesus weiter. Und Jesus – an seine Jünger. Das erste, was Jesus tut, als er öffentlich auftritt: Er beruft Jünger, die ihn fortan begleiten. Sie schauen ihm sozusagen beim Staffellauf zu. Und dann schickt Jesus sie selbst aus – mit der gleichen Botschaft: „Das Himmelreich ist nahe“ (Mt 10,7).
Das Christentum – ein Staffellauf. Das war der Traum des Matthäusevangeliums. Den Glauben wie den Stab beim Staffellauf an die nächsten weitergeben.

Wer träumt diesen Traum nicht? Eltern möchten, dass das, was ihnen wichtig und wertvoll ist, von ihren Kindern weitergetragen wird. Jede Pfarrgemeinde hofft darauf, dass sich immer wieder Menschen finden, die in die Fußstapfen derer treten, die das Gemeindeleben getragen haben.
Aber wir alle wissen, wie schwer das geworden ist. Wir bieten das Staffelholz an, aber immer weniger sind bereit, sich in unsere Staffel einzureihen und den Stab weiterzutragen.
Und auch da lässt mich das Matthäusevangelium aufhorchen: So, wie Jesus es sich vorgestellt hat, gelingt es nicht. Er hat seinen Jüngern ausdrücklich aufgetragen: „Geht nicht in die Städte der Heiden, sondern geht nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel!“ (Mt 10,5f.). Seine Jünger versuchen es, haben aber keinen Erfolg. Denen sie den Staffelstab weitergeben wollen, die nehmen ihn nicht an.
Und da kommt es zu einem Umbruch. Am Ende des Matthäusevangeliums sagt der Auferstandene seinen Jüngern: „Geht hin in alle Welt und macht alle Menschen zu meinen Jüngern!“ (Mt 28,19f.).
Das ist ein totaler Richtungswechsel. Ein zu Boden gefallenes Staffelholz bringt zum Nachdenken – und dem Lauf des Christentums einen neuen Drive.

Liebe Leser,
ich sehe unsere momentane Kirche in einer ähnlichen Umbruchsituation. Nach einer Periode, in der alles auf Tradition getrimmt war, jede Veränderung als Gefahr dargestellt wurde, nichts höher stand als die Bewahrung des Alten und vor jedem Experiment gewarnt wurde – bricht ein Mann an der Spitze jetzt aus, fordert auf zu neuen Wegen, redet sich den Mund fusselig, die Kerngemeinden zu verlassen und an die Ränder zu gehen, versucht es selbst vorzumachen: Die Kirche ist keine gnadenlose Moralinstitution, sondern ein Ort der Barmherzigkeit. Sie ist nicht dann schön, wenn sie makellos ist, sondern wenn sie den Menschen nahe ist und die Beulen ihres Lebens mitträgt.
Ich bin überzeugt: Wenn wir wollen, dass die am Boden liegende Glaubensstab wieder aufgehoben wird, dann kommt es jetzt auf uns alle an: ob wir den Richtungswechsel mitvollziehen und zulassen, dass das Staffelholz anders weitergetragen wird als bisher.

Fürbitten
Mit unseren Anliegen kommen wir zu dir, unser Gott

Für alle Eltern, die den Glauben an ihre Kinder als wertvollen Lebensproviant weitergeben möchten
Für alle, die in Tauf-, Kommunion- und Firmkatechese junge Eltern, Kinder und Jugendliche ansprechen wollen
Für alle Männer und Frauen, die sich in unseren Pfarreien um ein lebendiges Gemeindeleben mühen
V: Lasset zum Herrn uns beten
A: Herr erbarme dich, Christus, erbarme dich, Herr erbarme dich


Für alle, die sich von der Kirche nicht mehr angesprochen und verstanden fühlen
Für alle, die ihr den Rücken gekehrt haben
Für alle, die den Glauben verloren haben
V: Lasset zum Herrn uns beten …

Für alle, die in Sorge sind um die Zukunft der Kirche
Für alle, deren Ordensgemeinschaft in ihrer Existenz bedroht ist
Für alle, die von Pfarrauflösungen und neuen pastoralen Strukturen betroffen sind
V: Lasset zum Herrn uns beten …

Für alle, die in ihren Berufen Boten des Evangeliums sind
Für alle, die nach neuen Wegen der Glaubensweitergabe suchen
Für alle, die ihren Glauben bewusst im Alltag leben wollen
V: Lasset zum Herrn uns beten …

Für alle, die im Schweren und in der Krankheit Kraft und Halt im Glauben finden
Für alle, die ohne Glaubenstrost gestorben sind
Für die Toten, an die wir in diesem Gottesdienst denken
V: Lasset zum Herrn uns beten …

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.






Pfarrer Stefan Mai

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