Neujahrsansprache

Oberschwarzach 2014

In Schweinfurt, das weiß jeder von uns, steht auf dem Marktplatz das Rückert-Denkmal als Erinnerung an den im Jahre 1788 in Schweinfurt geborenen Dichter Friedrich Rückert. Nicht nur aus Lokalpatriotismus mag ich dieses Sprachgenie, sondern vor allem deswegen, weil er es versteht, in wenige Zeilen tiefe Gedanken zu verpacken, so wie in seinem Gedicht „Sechs Wörtchen“. Es lautet:

Sechs Wörtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag:
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.

Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben,
Das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben.

Ich muß, das ist die Schrank', in welcher mich die Welt
Von einer, die Natur von andrer Seite hält.

Ich kann, das ist das Maß der mir verlieh'nen Kraft,
Der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft.

Ich will, die höchste Kron' ist dieses, die mich schmückt,
Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt.

Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel,
Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel.

Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt,
Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt.

Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag,
Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag.

Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.


Mir kommt dieses Nachdenken über diese sechs kleinen Wörtchen wie eine gute Predigt für das neue Jahr vor, aber auch wie eine gute Anleitung für alle, die sich ehrenamtlich auf einem bestimmtem Feld in unseren Gemeinden engagieren. Und davon sind heute viele unter uns:

Wie oft fragen sich auch heute noch Menschen: Reicht es, dass ich meinen Job mache und am Abend dann die Haustür hinter mir schließe und die Welt einfach hinter mir lasse. Gott sei Dank spüren auch heute noch Menschen, wenn das Leben in unseren Dörfern lebenswert und von einem Gemeinschaftsgeist geprägt sein soll, dann muss auch ich meinen Beitrag dafür leisten und kann eine Dorfgemeinschaft oder Kirchengemeinde nicht nur als Melkkuh betrachten.

Wer zur Einsicht kommt: Auch ich muss einen Beitrag für ein gelingendes Miteinander leisten, fragt sich als nächstes:
Was soll ich denn tun, welche Aufgabe könnte ich übernehmen, auf welchem Gebiet mich einsetzen?

Am besten - nach Friedrich Rückert - diene ich dann einer Gemeinschaft mit dem, was ich gut kann, was mir als Begabung und Schatz ins Leben mitgegeben wurde. Und Gott sei Dank hat sich der liebe Gott eine große bunte Palette von Fähigkeiten in so vielfältigen Formen ausgedacht.

Wichtig ist, dass ich diese Fähigkeiten entdecke, dafür dankbar bin und auch als Danke für dieses Geschenk, das mich selbst bereichert, an die Menschengemeinschaft etwas zurückgeben will.

Entscheidend wird nach diesem willentlichen Entscheidungsprozess und der Prüfung meiner persönlichen Ressourcen sein, ob ich meinen ehrenamtlichen Dienst als „dürfen“ verstehen kann, nicht nur als weitere schweißtreibende und mit zusammengebissenen Zähnen verstandene zusätzliche Belastung, sondern als Entfaltung meiner Persönlichkeit.

Zudem wird mir immer mehr mit zunehmenden Alter bewusst: Ausstrahlung wird auf Dauer das nur haben, was ich selber mag. Und ebenso muss man Menschen mögen, genau wie das, wozu ich sie einladen möchte.

Und beeindruckend für mich: Friedrich Rückert beendet sein Gedicht über die sechs Wörtchen „ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag“ wie ein Gebet:
Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.


Und mir kommt ein weiteres Gedichtchen von Friedrich Rückert wie ein Kommentar zu seinem „sechs Wörtchen Gedicht“ vor, und wie eine Anleitung zum richtigen Einsatz meiner Kräfte, wenn er schreibt:

Wer nur das Kleinste thut, was recht ihm dünkt und gut,
Wird finden, daß ihm gut davon der Nachschmack thut,

Du brauchst, was dir gelang, so hoch nicht anzuschlagen,
Um doch ein freudiges Bewußtsein mitzutragen.

Vor dem, was droben ich soll thun, ist eitel Tand,
Was ich hienieden that, doch ist's ein Liebespfand,
Das ich beim Abschied froh lass' in der Nachwelt Hand.


Ich danke allen, die sich in diesem Sinn auf so vielfältige Weise in unserer Pfarrgemeinde ehrenamtlich einsetzen und wünsche allen diesen guten Nachgeschmack ihres Einsatzes und ein freudiges Bewusstsein über das, was er oder sie für andere leistet.
Denn nichts gibt mehr Sinn und Befriedigung im Leben als eine persönliche „stolze Zufriedenheit“ mit mir selbst.


Pfarrer Stefan Mai

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