Von der Ohnmacht purer Worte

Weihnachtsfeiertag 2013

Einleitung
Über Weihnachten haben Sie sicher so manchen Kartengruß bekommen. Da gibt es verschiedene Arten. Die einen sind kurz und bündig: „Frohe Weihnachten wünscht“ – und darunter der Name. Andere schreiben ein paar persönliche Worte dazu. Welche Worte eines Weihnachtsgrußes haben Sie am meisten berührt?
Immer am ersten Weihnachtsfeiertag geht es im Evangelium um ein besonderes Wort.

Predigt
Es ist schon Jahre her. Silvester 1986. Peinlich war’s. Man sprach von der Fernsehpanne des Jahres. Die ARD hatte aus Versehen die Silvesteransprache des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl vom Vorjahr ausgestrahlt. Die Partei des Kanzlers war empört. Viele Deutsche hingegen haben geschmunzelt. So etwas passiert eben.
Überraschend war, dass die wenigstens Zuschauer diese Panne überhaupt bemerkt haben. Manche haben die Rede zuerst beim Zweiten Deutschen Fernsehen gesehen. Dort wurde die aktuelle Ansprache gesendet. Und gleich im Anschluss haben sie umgeschaltet und gar nicht gemerkt, dass sie jetzt in der ARD eine Rede vom Vorjahr hören. Das einzige, worüber sie sich gewundert haben, war: dass der Kanzler jetzt eine andere Krawatte trug.
Und es ist ebenso zum Schmunzeln, dass nach dem großen Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück im Sommer dieses Jahres nicht so sehr über die Inhalte geredet wurde wie über das schwarz-rot-goldene Halsband der Kanzlerin.
So geht es also: Jemand bereitet seine Worte gründlich vor und zerbricht sich den Kopf darüber, wie er am besten argumentieren und überzeugen kann – und die Zuhörer erinnern sich am Ende nur an Farbe und Muster der Krawatte oder des Halsbands.

Medienforscher wissen schon lange: Heutige Menschen achten mehr auf die Verpackung als auf den Inhalt. Was die Augen sehen, bleibt viel besser haften als das, was die Ohren hören.
Wenn das stimmt, dann hat es auch das Wort nicht leicht, von dem das heutige Evangelium spricht: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Alles ist durch das Wort geworden.“
Hand aufs Herz! Könnten Sie diesen schwierigen Satz aus dem Evangelium wiederholen? Und sind wir doch einmal ehrlich: Wie viele Predigten haben wir uns schon angehört, die versucht haben, das Wort Gottes auszulegen. Und wie viel davon ist hängen geblieben?
Ich bin überzeugt: Von Jesus wäre kein einziges Wort mehr in Erinnerung, wenn er nur gesprochen oder Bücher geschrieben hätte. Die wenigen Worte, die wir von ihm kennen, sind nur deswegen weitererzählt worden, weil Menschen gespürt haben: Seine Worte stehen mit seinem Leben in Zusammenhang. Der sagt nicht nur ein Wort daher, sondern der steht hinter seinem Wort.
Der redet nicht nur von den Lilien des Feldes, die sich keine Sorgen machen um Nahrung und Kleider. Nein, der zieht selbst mittellos durchs Land und vertraut darauf, dass ihm tatsächlich, wie den Lilien, geschenkt wird, was er zum Leben braucht.
Das haben die Leute gespürt: Da ist einer, der hält nicht nur große Reden darüber, dass man die am Rand Stehenden integrieren soll, sondern der geht selbst auf sie zu, setzt sich mit ihnen an einen Tisch und begegnet ihnen auf Augenhöhe.
Zu Recht sagt das Johannesevangelium über Jesus: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“
Das heißt, ganz einfach ausgedrückt: Da sagt nicht nur einer etwas daher, sondern tut, was er sagt. Er steht hinter seinen Worten. Seine Worte bekommen in seinem Leben Hand und Fuß.
Liebe Leser,
ein altes lateinisches Sprichwort lautet: verba docent, exempla trahunt. Worte belehren, Vorbilder ziehen an. An dieser alten Weisheit kommt kein Politiker, kein Pfarrer, kein Lehrer, kein Elternpaar, kommt niemand vorbei.

Fürbitten Weihnachtsfeiertag
Herr, unser Gott, am Fest des fleischgewordenen Wortes bitten wir dich:
- Wir beten für alle, die täglich viel reden müssen: für Politiker, Lehrer, Vertreter und Journalisten
- Wir beten für alle, die lieber mit ihren Händen als mit ihrem Mund reden: Handwerker, Landwirte, Reinigungskräfte, Künstler und Schreibkräfte
- Wir beten für alle, die stumm geboren wurden, und für alle, die das Leben stumm gemacht hat
- Wir beten für alle, die ihren Mund nicht halten können und die Stille nicht aushalten können
- Wir beten für alle, die gerade an den Weihnachtsfeiertagen auf ein gutes Wort hoffen: auf ein Wort der Anerkennung, der Versöhnung, der Dankbarkeit









Pfarrer Stefan Mai

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