Geduld oder Ungeduld?

Predigt zum 3. Adventssonntag (2. Lesung: Jak 5,7-10)

Was ist eine Tugend? Geduld oder Ungeduld?
Kann man wirklich von einer heiligen Geduld oder Engelsgeduld und zugleich von einer heilsamen Ungeduld sprechen? Beißt sich das nicht gegenseitig?

Viele unserer Adventslieder sind von einer brennenden Ungeduld
„O komm, o komm Immanuel!“, singen wir. Da geht es nicht schnell genug, bis er endlich kommt.
„O Heiland reiß die Himmel auf!“ ist eigentlich ein reißerisches Lied. Ein Lied voller Sehnsucht, die nicht mehr warten kann. Wann endlich werden Schloss und Riegel am Himmel losgerissen?

Und es gibt viel zu denken: Der Ruf „Marana tha, komm doch, Herr!“ ist das letzte Wort des Neuen Testaments - ein Wort brennender Ungeduld.

Auf der anderen Seite sehnen wir uns gerade in der Adventszeit nach Stille, wollen uns den Wert des Wartens bewusst machen und darin einüben. Sind des Rennens und Hastens müde und sehnen uns nach einer ruhigen entspannten Lebensart, die nicht einfach immer zum Machen verurteilt ist.

Und dafür haben wir auch biblische Paten. Der Jakobusbrief mahnt zur Geduld: „Brüder, haltet geduldig aus bis zur Ankunft des Herrn. Auch der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde. Er wartet geduldig, bis im Herbst und im Frühjahr Regen fällt. Ebenso geduldig sollt auch ihr sein!“

Nochmals: Was ist besser? Geduld oder Ungeduld?
Aber ist das nicht eine falsche Fragestellung? Müsste man nicht vielmehr fragen: Wann ist Geduld gut? Wann ist sie schlecht? Wann ist Ungeduld gut? Wann ist sie schlecht?

„Geduld zu üben ist die wirksamste Methode, unseren inneren Frieden zu wahren“, meint der Dalai Lama - und er hat Recht.

„Geduld ist das Schwerste und das Einzige, was zu lernen sich lohnt. Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen und Schöne in der Welt beruht auf Geduld, braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen“, behauptet Hermann Hesse - und er hat Recht.
Es gibt eine Geduld, die abwarten kann, bis der richtige Zeitpunkt da ist; die den anderen Menschen aushält, die zäh an Dingen festhält, die ich für wichtig und richtig halte. Eine Geduld, die sich nicht durch Widerstände und Niederlagen entmutigen lässt.

Aber gibt es nicht auch eine Geduld, die uns einredet, es müsse alles ertragen werden, man könne doch nichts machen, eine Geduld, die faul macht und blind für das Leid anderer?
Unsere Nachfolge muss unter Handlungsdruck stehen, so schärft der alte Theologe Johann Baptist Metz immer wieder ein, sonst erlahmt sie und kippt um in eine lebensfeindliche Erwartungs- und Teilnahmslosigkeit.

Ja, Ungeduld wird zur Tugend, wenn sie es nicht erträgt, dass Verhältnisse so ungerecht sind, dass Menschen an ihnen kaputtgehen.

Ja, im Leben braucht es die Geduld und die Ungeduld - im guten Sinn verstanden. Und vielleicht bringt Johannes Don Bosco das Verhältnis von Geduld und Ungeduld auf die richtige Formel, wenn er meint:
„Tut, was ihr könnt! Gott wird tun, was wir nicht können.“


Pfarrer Stefan Mai

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