Hallo Wach! - Türen aufmachen!

Predigt zum 1. Adventssonntag 2013

Einleitung

Ich hatte in der letzten Woche die Aufgabe, für Pfarrer einen Besinnungsnachmittag zu gestalten. Viele Gedanken kreisten dabei um das alte Gotteslob. So bat ich die Teilnehmer:
Jeder möge noch einmal das Gotteslob hernehmen und über seine Lieblingslieder nachdenken.
Als erstes sollte sich jeder ein Heimatlied aussuchen, das von Vertrauen, Gelassenheit und von der Freude, im Glauben einen festen Halt zu haben, singt.
Als zweites ein Wanderlied, das mich weiter auf den Weg schickt, zu neuen Schritten ermuntert, zum Weitergehen und neue Frische und neue Kraft schenkt.
Und als drittes ein Protestlied, das mich aufweckt und provoziert.
Das häufigste Protestlied, das genannt wurde war das Lied, das wir eben zum Eingang gesungen haben: Weck´ die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit.
Gleich zwei Mal hören wir heute in den Lesungen diesen Weckruf: Aufwachen!

Predigt

Aufwachen und Aufstehen - mit diesem Appell werden wir durch die Lesungen des ersten Advents in ein neues Kirchenjahr geschickt.
„Seid also wachsam!“ - bittet Jesus seine Jünger im Evangelium.
„Die Stunde ist gekommen, vom Schlaf aufzustehen“ - schärft Paulus seiner Gemeinde in Rom ein.
„Weck´ die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit!“ - „Wachet auf, ruft uns die Stimme!“ - haben wir uns gegenseitig zugesungen.

Am vergangenen Dienstag meldete sich Papst Franziskus mit seinem ersten Lehrschreiben „evangelii gaudium“ - „die Freude am Evangelium“ an die Weltöffentlichkeit. Als „Paukenschlag“ bezeichneten es die Journalisten. Es ist ein aufrüttelnder Weckruf an alle Gläubigen, an die Priester und Bischöfe und an die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik.
In seinem Weckruf legt Papst Franziskus seinen Traum dar von einem guten und gerechten Leben auf diesem "herrlichen Planeten" und einer Kirche, die ihre Türen aufmacht und einladend ist, sich aber auch klar auf die Seite der Armen stellt.
Die knapp zweihundert Seiten, die Franziskus vorgelegt hat, sind nur an wenigen Stellen von jener weihrauchschwangeren Schwere und akademischen Trockenheit, wie sie in vielen anderen kirchlichen Lehrschreiben zu finden ist. Die meisten Teile lesen sich leicht, manche fesseln geradezu, wenn man sich darauf einlässt.
"Mir ist eine ‚verbeulte' Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben.“
Wann hat man das von einem Papst gelesen? Wann hat einer seine Priester offiziell ermahnt, aus ihrem Beichtstuhl keine "Folterkammer" und aus ihrer Kirche keine "Zollstation" zu machen? Die Begründung folgt in einer so einfachen wie einfühlsamen Sprache: "Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben." Die Eucharistie ist nicht „Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“. Er betont: Menschen auf der Suche ertragen nicht die Kälte einer verschlossenen Tür. Ein Zeichen für die Annahme Gottes sei es, überall offene Kirchen zu haben. Die grundsätzliche Haltung der Kirche, so der Papst, muss die Annahme eines Menschen sein, nicht dessen Ablehnung. Erst nach dieser grundsätzlichen Bejahung hat alles Weitere zu folgen.
Eines der größten Hindernisse für die Kirche in ihrer Mission sei die Kirche selbst, behauptet Franziskus. Er verdammt „übertriebenen Klerikalismus“, Karrieredenken, „Eitelkeit“, aber auch „pastorale Trägheit“. Die Enttäuschungen der Wirklichkeit führten nicht selten zu einer Traurigkeit, einer „Grabespsychologie, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt“. Die Verkünder des Evangeliums dürften „nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben“, fordert Franziskus. Er will die Begeisterung und Glaubensfreude, die er selbst bei öffentlichen Auftritten zeigt. „Lassen wir uns die Freude an der Evangelisierung nicht nehmen!“, schreibt er. Und er bittet die Gläubigen um Phantasie und Wagemut, auf neuen Wegen und mit kreativen Methoden, die „ursprüngliche Frische der Frohen Botschaft“ neu zu erschließen“. Starke Sätze: Jesus soll aus den „langweiligen Schablonen“ befreit werden, in die wir ihn gepackt haben

Innerhalb der Kirche prangert das Schreiben ein narzisstisches und autoritäres Elitebewusstsein derjenigen an, sie sich „überlegen fühlen, weil sie bestimmte Normen einhalten oder weil sie einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind“. Bei einigen sei überdies eine „ostentative Pflege der Liturgie, der Lehre und des Ansehens der Kirche festzustellen“
Er kritisiert die allzu Frommen, die zu sehr auf Liturgie setzen; die Bürokraten des Glaubens; die, die nur gesellschaftliche Anerkennung und Mitwirkung suchen. Und sieht in der Bequemlichkeit das größte Schlafmittel und den größten Feind der Kirche. Sein größter Vorwurf ist: Bequemlichkeit steht dem Aufbruch und dem Risiko gegenüber, und dadurch verkümmern der Glaube und die Verkündigung.

Der Blick für die Armen durchzieht sein gesamtes Schreiben. „Lassen wir die Armen nicht allein!“ fordert er immer wieder. Und so nimmt er sich das kapitalistische"System" vor, das seiner Meinung nach nur dann nichts gegen Frömmigkeit hat, wenn diese folgenlos bleibt:.
"Wie viele Worte sind diesem System unbequem geworden! Es ist lästig, wenn man von Ethik spricht, es ist lästig, dass man von weltweiter Solidarität spricht, es ist lästig, wenn man von einer Verteilung der Güter spricht, es ist lästig, wenn man davon spricht, die Arbeitsplätze zu verteidigen, es ist lästig, wenn man von der Würde der Schwachen spricht, es ist lästig, wenn man von einem Gott spricht, der einen Einsatz für die Gerechtigkeit fordert." Und als lebensnahes Beispiel führt er an:
„Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht“.

Franziskus hat sich offenbar vorgenommen, auch künftig lästig zu werden. Das wird zweifellos in seiner Kirche so sein, der er eine Reform auf allen Ebenen verordnet hat. Und er schließt sich und sein Amt dabei keinesfalls aus. Ebenso aber wird es die politische und wirtschaftliche Gesellschaft weiter mit ihm zu tun bekommen, auch wenn er dabei die eine oder andere "Beule" riskiert. Doch - so Franziskus: "Mein Wort ist nicht das eines Feindes, noch das eines Gegners. Es geht mir einzig darum, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Sklaven einer individualistischen, gleichgültigen und egoistischen Mentalität sind, sich von jenen unwürdigen Fesseln befreien und eine Art zu leben und zu denken erreichen können, die menschlicher, edler und fruchtbarer ist und Würde verleiht."

Liebe Leser,
Evangelii gaudium - ein „Hallo-wach-Ruf“ von Papst Franziskus an seine Kirche. Ein Kommentator des päpstlichen Schreibens meint als Resümee sogar:
Man muss nicht katholisch sein, um Franziskus für die Verwirklichung seines Traumes von einer menschlichen Kirche und Welt Erfolg zu wünschen.

Fürbitten

Seid wachsam! - Dieser Ruf begleitet uns in den Schrifttexten, Gebeten und Liedern durch die Tage der Adventszeit. Deshalb bitten wir heute:

Rufe zur Wachsamkeit alle Regierenden und Politiker. damit sie nicht ihre eigenen Interessen über das Wohl der Völker stellen

Rufe zur Wachsamkeit die Verantwortlichen in Industrie und Wirtschaft, damit sie nicht aus reiner Profitgier Menschen und Natur ausbeuten

Rufe zur Wachsamkeit alle, die große Verantwortung in unserer Kirche tragen, damit sie nicht Angst vor neuen Ideen der Kirche den Weg in die Zukunft verbauen

Rufe zur Wachsamkeit unsere christlichen Gemeinden, damit sie nicht im Kreisen um sich selbst vergessen, deine Botschaft in ihre Umgebung hineinzutragen

Rufe zur Wachsamkeit auch uns selbst, damit wir im Glauben nicht ermüden, sondern uns von deinem Evangelium neu herausfordern lassen

Erwecke zum neuen Leben unsere Toten. (Stellvertretend für alle nennen wir die Namen von........................................................

Seid wachsam! Jesus, lass uns diesen Ruf unter die Haut gehen. Darum bitten wir in den Tagen des Advents. Amen



Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de