Der hilflose Helfer

Predigt zum Christkönigssonntag 2013 (Lk 23,35-41)

Einleitung
„Hilflose Helfer“, so lautete der Titel eines bekannten Sachbuches von Wolfgang Schmidbauer aus den frühen 90-er Jahren. Es ging um die seelische Problematik der helfenden Berufe. Der Autor stellte die These auf, wenn ich mich als Helfer zu sehr mit meinem Klienten identifiziere, also zu wenig Abstand halte, werde ich zum hilflosen Helfer.
Von einem ganz anderen „hilflosen Helfer“ ist heute im Evangelium des Christkönigsonntag die Rede.

Predigt
Der Hofkomponist Salieri hatte aus Zeitnot abgesagt. Mozart musste einspringen. Noch in der Reisekutsche schrieb er die letzten Noten. Auf dem Weg von Wien nach Prag. Dort zur Krönung von Leopold II. zum König von Böhmen sollte sie aufgeführt werden, die Oper „La clemenza di Tito“. Das Bild des edlen, zur Vergebung bereiten römischen Kaisers Titus sollte dem neu gekrönten König von Böhmen als Leitbild vor Augen gehalten werden. Am 6. September 1791 wurde die Oper zum Krönungsfest in Prag uraufgeführt. Es sollte Mozarts letztes Opernvermächtnis werden. Er starb noch im gleichen Jahr.
Der Inhalt der Oper ist programmatisch: Der römische Kaiser Titus ist von Intrigen umgeben, selbst sein Jugendfreund Sextus verrät ihn – aber der Kaiser lässt (in der Oper) sich nicht von seinen Grundsätzen abbringen.
In einer ergreifenden Arie bringt er seine Lebenshaltung in Worte. Der Kaiser singt:
Es ist das einzige, was bleibt von diesem herrlichsten aller Throne -
Alles andere ist Quälerei und Sklavendienst:
Was bliebe mir, wenn ich die einzigen glücklichen Stunden verlieren würde, die ich im Leben hatte:
Und das waren die Stunden, in denen ich Menschen in Verzweiflung beigestanden bin,
das waren die Stunden, in denen ich meine Freunde aufgerichtet habe,
das waren die Stunden, in denen ich Einsatz und Wagemut gefördert habe.
Das ist das einzige, was bleibt von diesem herrlichsten aller Throne.

Das ist, was Mozart Titus auf der Bühne für einen frisch gekrönten König singen lässt. Der größte Dienst, den ein König den Menschen erweisen kann, ist: anderen zu helfen.
Aber genau dafür wird der König des Evangeliums verspottet:
„Andern hat er geholfen, nun soll er sich selbst helfen, wenn er der von Gott erwählte Messias ist“, sagen die Mitglieder des Hohen Rates.
„Wenn du der König der Juden bist, dann hilf dir selbst!“, verspotten ihn die Soldaten und reichen ihm bitteren Essig.
„Bist du denn nicht der Messias, dann hilf dir und uns!“, spottet einer der beiden neben ihm gekreuzigten Verbrecher.
Was hast du denn jetzt davon, dass du im Leben anderen geholfen hast?, das ist wie ätzender Essig in die Wunden des Hilflosen am Kreuz.
Was hast du denn jetzt davon, dass du dich mit Leuten abgegeben hast, vor denen alle anderen ausgerissen sind? Was hast du denn jetzt davon, dass du Frauen für voll genommen hast, von denen die anderen gesagt haben: Lass sie doch! Die sind durchgeknallt?
Und wo sind sie jetzt, deine Schützlinge? Helfen sie dir? Schaut euch den großen Helfer an: Ein Häuflein Elend!“
Liebe Leser,
kennen Sie solche Gedanken? Was hat mir das Helfen gebracht?
Was hat es gebracht, dass ich mich jahrelang um die Nachbarin gekümmert habe, die allein war? Jetzt sitz‘ ich auch allein da – und niemand kommt zu mir.
Was hat es gebracht, dass ich mich Jahrzehnte für die Pfarrei eingesetzt habe – und was ist der Dank? Seitdem ich nicht mehr in die Kirche kommen kann: Aus den Augen aus dem Sinn!
Was hat es gebracht, dass ich sechs Jahre lang die Enkel großgezogen habe, damit meine Tochter nicht aus dem Berufsleben herausgefallen ist. Kommt noch einer von den Enkeln?
Von Jesus wird keine Antwort auf diesen bissigen Spott überliefert. Aber ich ahne: Wenn der Evangelist Lukas diesen hilflosen Jesus von allen Seiten verspotten lässt – und ihn dann als Sterbewort in den Mund legt: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist!“ – ob er nicht hofft, dass wir spüren: Anderen zu helfen, das war ihm Lebenserfüllung, das lässt ihn ruhig sterben.
Oder noch einmal mit den Worten von Mozart’s Titus:
Was bliebe mir, wenn ich die einzigen glücklichen Stunden verlieren würde, die ich im Leben hatte:
in denen ich Menschen in Verzweiflung beigestanden bin,
in denen ich meine Freunde aufgerichtet habe,
in denen ich Einsatz und Wagemut gefördert habe.
Das ist das einzige was bleibt.

- Arie „Del piu sublime soglio“ aus „La clemenza di Tito einspielen - CD Nr. 13

Fürbitten
Herr, unser Gott, im Vertrauen auf deine Hilfe im Leben wenden wir uns mit unseren Bitten an dich:
Antwortruf: Kyrie eleison
Für alle Menschen, die bereitwillig sind zu helfen, ohne daran zu denken, was sie davon haben
Für alle, die Hilfe brauchen, aber sich nicht trauen, um Hilfe zu bitten
Für alle Kranken und Behinderten, die andauernd auf die Hilfe guter Menschen angewiesen sind
Für alle, die in ihrer Hilflosigkeit alleingelassen oder sogar ausgelacht oder gemieden werden
Für alle, die in der Ohnmacht des Sterbens sich deinen gütigen Händen anvertrauen
Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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