Verschwunden...einfach so

Predigt zum Vorstellungsgottesdienst der Kommunionkinder 2014 (Lesung: Ps 150)

Mitten in der Stadt stand eine große, alte Kirche. In dieser Kirche, die schon viele Jahrhunderte erlebt hatte, gab es eine wunderbare, kunstvolle Orgel, auf der die schönsten Lieder erklangen.

(feierliche Orgelmusik)

Die Orgel in dieser alten Kirche hatte viele unterschiedlich große Pfeifen. Aus den großen Orgelpfeifen kam eine tiefer, dunkler Ton.

(tiefer Orgelton)

Es gab aber auch viele andere Töne, tiefe und weniger tiefe, dumpfe und schrillere.

(unterschiedliche Orgeltöne erklingen einzeln und nacheinander)

Und schließlich gab es auch ganz kleine Orgelpfeifen. Hell, klar und fröhlich klangen sie.

(helle Orgeltöne sind zu hören)

Zusammen bildeten diese Pfeifen ein harmonisches Ganzes, das die schönsten Melodien und Harmonien ins Leben rufen konnte.

(Orgelmusik)

Doch eines Tages geschah es. Die Orgel wollte wieder ihre prachtvollen Klänge von sich geben. Aber ... irgend etwas war anders als sonst.
Die große Orgelpfeife forderte die Kollegen auf: „Der Klang muss voller werden, strengt euch an.“ Und gemeinsam strengten sich die Orgelpfeifen an und die Orgel erklang.

(nur tiefe Töne in Moll)

„Was ist denn hier los?“ schimpfte eine der Orgelpfeifen. „Das klingt ja ernst und eintönig.“
„Eine von uns muss einen falschen Ton in sich haben“, vermutete eine andere Orgelpfeife.
„Jede spielt nun ihren Ton. Eine nach der anderen. Dann werden wir schon sehen, wer hier falsch kling.“

(Töne werden nacheinander gespielt, von tief zu hoch, ohne die ganz hohen Töne)

Nacheinander ertönten die Orgelpfeifen. Und…alle klangen richtig, kein Ton war falsch.
Schließlich kam die Reihe an die ganz kleinen Orgelpfeifen … Aber … nichts war zu hören.
„Was ist das? Warum hören wir nichts von unseren kleinen Orgelpfeifen?“, brummte die tiefe Orgelpfeife.
Und die nächste rief erschrocken: „Sie sind weg … unsere kleinen Orgelpfeifen sind verschwunden!“
Und so war es tatsächlich. Die kleinen hellen Orgelpfeifen waren nicht mehr da. Verschwunden – einfach so – und keiner hatte es gemerkt.

Der nächste Gottesdienst begann und die Orgel musste wieder ihre Pflicht tun. Aber niemals klangen ihre Lieder wieder so fröhlich wie zu den Zeiten, als die kleinen Orgelpfeifen sich noch am Spiel beteiligten.

(Musik mit tiefen Tönen, getragen, ernst)

„Sie sind weg ... unsere kleinen Orgelpfeifen sind verschwunden!“
Und so war es tatsächlich. Die kleinen hellen Orgelpfeifen waren nicht mehr da. Verschwunden... einfach so ... und keiner hatte es gemerkt.


Seit 5 Jahren bin ich in Gerolzhofen Pfarrer. Anfangs habe ich in unserer Kirche vorne in den Bänken noch Kinder erlebt. Mit den Jahren sind die Kinderbänke immer mehr ausgedünnt und fast unmerklich verschwunden ... einfach so.

Unsere monatlichen Kinderwortgottesdienste waren vor 20 Jahren einmal für Kinder in Gerolzhofen ein Boom. Ein großer Kreis von Kindern stand beim Vaterunser um den Altar. Heute kann man sie meist an zwei Händen zählen. Verschwunden … einfach so.

So manches Mal werden wir in Gerolzhofen um unsere Ministranten beneidet, die für ihre Pfarrgemeinde ihren Dienst tun. Ich merke es jedes Mal, wenn wir an Festgottesdiensten mit einer ganzen Schar, buchstäblich wie die Orgelpfeifen der Größe nach aufgestellt, in die Kirche einziehen, wie Menschen da das Herz aufgeht. Wir können stolz sein, hier gut aufgestellt zu sein. Aber die Frage steht da: Wird es jungen Familien in Kindern in Zukunft noch ein Anliegen sein, für diesen Dienst Verantwortung zu übernehmen.

Ein Hoffnungsschimmer flackert jedes Jahr auf, wenn die Kommunionkatechese beginnt. Da kommen einige Kinder regelmäßig bis zum Weißen Sonntag in den Gottesdienst. In den Kirchenstündchen habe ich oft den Eindruck, Kindern macht es Spaß. Doch in jedem Jahr fast immer die gleiche Erfahrung: Ein paar Wochen nach dem Weißen Sonntag sind die Bänke wieder leer. Von den Kindern unserer Gemeinde gewinnen eigentlich nach der Kommunion nur die Kinder zu unseren Gottesdiensten einen Zugang, die Ministrant oder Ministrantin werden.

Manchmal muss ich an den Spruch eines Erfurter Pfarrers denken, der zu seinem Bischof Joachim Wanke bei einer Visitation einmal sagte: „Weißt du Bischof, was uns an der Basis mürbe macht – wir bemühen uns in den letzten 20 Jahren in der Seelsorge mit ‚fortlaufendem’ Erfolg.“ Und dabei betonte er ironisch das Wort „fortlaufend“.

Ich möchte nicht in einen wehleidigen oder gar anklagenden Ton verfallen. Aber es ist so. Trotz großer Energie, vielen Ideen und Zeitaufwand von vielen Menschen in der religiösen Kinderarbeit im Kindergottesdienstteam oder den Katechesen. Es ist so: „Sie sind weg ... unsere kleinen Orgelpfeifen sind verschwunden.

Verschwunden,einfach so ...!“ Und es ist so: Die Lieder einer Gemeinde klingen nie mehr so fröhlich wie zu den Zeiten, als die kleinen Orgelpfeifen sich noch am Spiel beteiligten.

Liebe Kinder mit euren Eltern, liebe Gemeinde,

die große Orgel in unserer Kirche ist nicht nur ein wunderschönes Musikinstrument, sie ist auch ein Bild unserer Pfarrgemeinde, die sich zum Gottesdienst trifft. Sie will uns in jedem Gottesdienst immer daran erinnern: Wie die großen und kleinen Orgelpfeifen zusammenstimmen müssen, damit es einen schönen Klang gibt, so ist eine Gemeinde stimmungsvoll, wenn Große und Kleine, Frauen und Männer, Kinder, Greise, helle und tiefe Stimmen, laute und zarte zusammen beten und singen.

Liebe Kinder, vergesst es bitte nicht: Wenn du fehlst, dann fehlen die kleinen Pfeifen, die hellen und hohen Stimmen im Orchester der Kirchengemeinde. Ihr seid so wichtig!

lustige hohe Orgeltöne, in die dann die volle Orgel einstimmt

Fürbitten

Herr, unser Gott, in jedem Gottedienst begegnen wir uns und dir. Wir bitten dich:

Wir bitten für unsere Kinder, dass sie in ihren Familien Geborgenheit und einen festen Halt erleben

Wir bitten für sie, dass sie guten Menschen im Lauf ihres Lebens begegnen, die sie fördern und ihnen treue Wegbegleiter sind

Wir bitten dich für unsere Kirchengemeinde. Lass sie nicht vergreisen, sondern auch für junge Menschen Heimat sein

Wir bitten für die verschiedenen Generationen, dass sie einander zu verstehen suchen und in großer Verantwortung füreinander ihr Leben gestalten

Wir beten für unsere Verstorbenen. In diesem Gottesdienst denken wir vor allem an......................................................
Schenke ihnen die Fülle des Lebens.

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.




Pfarrer Stefan Mai

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