Lukas und die Frauen

Predigt zu Lk 18,1-8 (C/29)

Einleitung
Vor einigen Jahren hat die „Bibel in gerechter Sprache“ damit Aufsehen erregt, dass sie die Frauen aus der Versenkung geholt hat: Überall, wo im Text von Jüngern die Rede ist, wurde in der Übersetzung auch „Jüngerinnen“ hinzugefügt.
Und selbst unser altehrwürdiges Gotteslob hat im Lauf der Zeit einige sprachliche Korrekturen vorgenommen: Wo von Brüdern die Rede war, wurde in den Text korrigierend eingegriffen.
Für Lektorinnen und Lektoren ist es inzwischen selbstverständlich geworden, dass sie bei den Paulusbriefen die Anrede „liebe Brüder“ mit „und Schwestern“ ergänzen.
In der Sprache sind die Frauen in unserer Kirche stärker präsent geworden. Die Frage bleibt aber: Gilt das auch für die Strukturen?

Predigt
Lukas wird oft der Evangelist der Armen genannt. Sie werden seliggepriesen. Ihnen gehört das Himmelreich – ohne Wenn und Aber. In keinem anderen Evangelium finden wir schärfere Sprüche gegen den Reichtum. Nur Lukas heizt den Reichen so drastisch mit der Hölle ein, wie er es mit der Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus tut. Kein Evangelist lässt seine Zuhörer so hämisch über die Reichen lachen wie Lukas in seiner Geschichte vom reichen Kornbauern, der immer noch nicht kapiert hat, dass niemand etwas mitnehmen kann.
Aber dieser Lukas ist auch der Evangelist der Frauen. In keinem anderen Evangelium tauchen so viele Frauen auf. Nur Lukas erzählt von der alten Elisabeth, der greisen Hanna, der Witwe von Nain, der Frau, die eine ihrer Drachmen verloren hat, der Frau, die krumm und bucklig geworden ist, von den reichen Frauen, die Jesus mit ihrem Geld unterstützen und mit ihm umherziehen, von Johanna, der Frau des Chuzas, von Susanna und der verrückten Magdalena.
Kurz und knackig: Lukas führt die Frauenquote ein: Er bevölkert die Bühne seines Evangeliums mit genauso viel Frauen wie Männern.
Freilich könnte man sagen: Lukas transportiert das traditionelle Frauenbild. Die Frau: dienend und demütig. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Maria, die demütige Magd Gottes, singt zugleich das Revoluzzerlied: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron ... die Reichen lässt er leer ausgehen“ (Lk 1,52f.).
Ja, es stimmt: Die Frauen stehen Jesus und seinen männlichen Begleitern helfend zu Seite – aber sie stehen auch ihren Mann unter dem Kreuz.
Ja, es stimmt: Von Marta lässt sich Jesus gern bedienen, aber er hilft auch ihrer Schwester Maria, dass sie aus der Hausmütterchenrolle ausbricht.
Und die forscheste aller Lukasfrauen ist die Witwe im heutigen Evangelium. Denn die durchbricht alle Rollenvorgaben: Schon dass sie als Frau ohne Vormund vor dem Richter erscheint, ist in der Antike ungebührlich. Statt knickdienerisch in einem Gesuch um Erbarmen zu betteln, wie man es erwarten würde, fordert sie selbstbewusst ihr Recht ein. Mit ihrer Penetranz klopft sie den harten Burschen weich. Und am Ende hat der Richter, der weder Gott noch Menschen fürchtet, vor der Witwe Angst.
Auch wenn Lukas diese Witwe als Beispiel für inständiges Gebet hinstellt – daran lässt sich nicht deuteln: dass er von einer Frau erzählt, die an den Bastionen der Männer rüttelt und Erfolg damit hat.
Und dass es Lukas damit ernst meint, zeigt sein Fortsetzungsband im Neuen Testament, die Apostelgeschichte: Da erzählt er von Frauen, die eine führende Rolle in den ersten christlichen Hausgemeinden übernehmen: Maria, die Mutter des Johannes Markus (Apg 12,12), die Purpurhändlerin Lydia (Apg 16,14) oder Priska, die große Stütze des Paulus in Korinth (Apg 18,1).


Liebe Frauen und Männer,
in den vergangenen Jahrzehnten klopften Frauen unerbittlich, aber fast ohne Erfolg an die Männertüren unserer Kirche. Ob ich das richtig deute, dass endlich einer das Klopfen ernst nimmt, wenn Papst Franziskus am Ende seines Aufsehen erregenden Interviews mit dem Journalisten Scalfari sich mit dem Hinweis verabschiedet hat: Das nächste Mal sprechen wir über die Rolle der Frau in der Kirche!

Fürbitten
Herr, unser Gott, du hast den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Höre unsere Bitten:
-Für Frauen, deren Freude und Lebenssinn ihr Dasein für die Familie ist
V: Lasset zum Herrn uns beten
A: Herr erbarme dich … (GL 358,3)
-Für Frauen, für die es schwierig geworden ist, Familie und Beruf zu vereinbaren
-Für Frauen, die in unseren Kirchengemeinden auf so vielen pastoralen Feldern tätig sind
-Für die Frauen, die sich in der Kirche oder in der Gesellschaft benachteiligt fühlen
-Für die Frauen, die sich in Kirchenfrauenkonferenzen engagieren und sich für mehr Einfluss der Frauen in unserer Kirche einsetzen


Pfarrer Stefan Mai

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