Wohin mit dem Dank?

Predigt zuim Erntedankfest 2013

Einleitung
Schon immer waren die Erntedankaltäre unserer Kirchen ein Schmaus für die Augen: Die Vielfalt der Früchte, die Vielfalt der Farben. Oft hat man in unseren Kirchen den Eindruck, als leben wir noch in einer agrarisch strukturierten Gesellschaft.
In diesem Jahr schaut unser Erntedankschmuck einmal anders aus. Das Zentrum bildet ein Gedicht des Dichters Hans Magnus Enzensberger. Es dreht sich um das Thema Dank. Aber es spricht ein Problem an, das viele Menschen heute mit diesem Thema Dank haben.

Predigt
„Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind Ehre, Lob und Ruhm und aller Segen“, so beginnt der große Lobgesang des Franziskus. Er fährt fort mit dem Ruf „Gelobt seist du, mein Gott“ und zählt Sonne, Mond und Sterne, Wind, Luft, Wasser und Mutter Erde auf, wofür er den Schöpfer preist. Und er endet noch einmal mit dem Aufruf zu Lob und Dank: „Lobt und preist meinen Herrn und dankt und dient Ihm in großer Demut.“

Im ersten Moment hat es den Anschein, als stimme der Dichter Hans Magnus Enzensberger in dieses Lob an den Schöpfer mit ein, wenn er in seinem Gedicht da aufzählt:

Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgne Organe,
für die Luft und natürlich für den Bordeaux.
Herzlichen Dank dafür, dass mir
das Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde und das Bedauern,
das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende und
die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.


Der Dichter dankt für den träumerischen Blick in die Wolken, für die Musik von Johann Sebastian Bach und, im gleichen Atemzug, warum auch nicht, „für die warmen Winterstiefel“. Gut auch, dass das „Feuerzeug nicht ausgeht“, dass die Pfeife noch brennt und schmeckt. Das Koffein hält den Dichter wach und so mancher Schluck guter Wein hat seinen Geist beflügelt. Er dankt für sein Denkvermögen. Einem Freund der Mathematik, der Kinder mit einem wunderbaren Buch darüber beschenkt hat, steht es gut an, zudem sich für die Euler‘sche Zahl e zu bedanken, die Basis des natürlichen Logarithmus. Er dankt für tiefe Seelenzustände, für Begierde und tiefes Bedauern. Der besondere Dank für den Schlaf wirkt echt, so als ob hier eine besonders empfindliche Stelle ist. Und, mit ironischem Zwinkern, für die Wühlmäuse im Garten. Sogar ein Dank für etwas, das uns das Leben schwer macht.
Der Text könnte, so wie er dasteht, ganz gut ein Gebet sein. Wenn es nicht diese Überschrift gäbe:
Empfänger unbekannt – Retour à l´expéditeur

Und genau diese Überschrift ist der Schlüssel zum Text. Empfänger unbekannt - zurück an den Absender. Der Absender will für sein Leben danken, aber weil das Gegenüber abhanden gekommen ist, wird ihm sein Dank zurückgeschickt. Irgendwie ist er betroffen und steht betröpfelt da. Er spürt: Ich habe eigentlich Grund zu danken, vieles im Leben ist nicht selbstverständlich, vieles ist Geschenk. Es ist die Sehnsucht, einem Größeren gegenüber den Dank auszusprechen. Aber das Gegenüber fehlt. Empfänger unbekannt. Zurück an den Empfänger - Retour à l´expéditeur. Warum in französisch? Vielleicht ein versteckter Hinweis auf ein „Leben wie Gott in Frankreich“? Alles im Leben haben – und doch fehlt etwas Entscheidendes?

Liebe Leser,
wir feiern heute in Gerolzhofen das Erntedankfest. Wir schicken unseren Dank für alles, was unser Leben schöner macht und bereichert, für alles was wir im Leben brauchen und erhalten ganz bewusst an die Adresse „Gott“, die Hans Magnus Enzensberger nicht mehr findet. Und der Dichter leidet darunter. Ob wir das Glück, Gott danken zu können, so intensiv spüren, wie es in der Präfation heißt? „In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, allmächtiger Vater zu danken und deine Größe zu preisen. Du bedarfst nicht unseres Lobes, es ist ein Geschenk deiner Gnade, dass wir dir danken. Unser Lobpreis kann deine Größe nicht mehren, doch uns bringt er Segen und Heil.“


Fürbitten
Heute am Erntedankfest machen wir uns bewusst, dass Gott der Geber alles Guten ist. Wir bitten ihn:

Dass Gott die Augen von uns Menschen öffnet für seine Güte und unsere Herzen empfindsam macht. Darum bitten wir …

Dass Gott die Hände der Menschen öffnet zur Freigebigkeit, um anderen Gutes zu tun. Darum bitten wir …

Dass Gott die Menschen frei macht von ängstlichen und übertriebenen Sorgen. Darum bitten wir …

Dass Gott uns alle unbefangen macht, das Gute, das andere uns tun, in Dankbarkeit anzunehmen. Darum bitten wir …

Dass unsere Verstorbenen, an die wir heute denken, bei Gott dankbar auf die Ernte ihres Lebens schauen dürfen. Darum bitten wir …

Dir Gott, Schöpfer des Lebens sei Ehre und Dank durch Christus, unsern Herrn. Amen



Pfarrer Stefan Mai

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