Ein mutiges Programm: „Corpus Domini“ sein

Predigt zum 50. Jubiläum der Kirche „Corpus Domini“, Mömlingen

Predigt

Als kleiner Ministrant habe ich noch den tridentinischen Ritus erlebt. Ich habe das Bild noch vor Augen, wie wir bei der Wandlung vor dem Hochaltar knieten, der Priester rücklings vor uns stand, sich bei den Wandlungsworten über die Hoste beugte und geheimnisvoll die Worte hauchte: „Hoc est enim corpus meum“. Ein fast magischer Moment.
Ich habe es noch vor Augen, wie wir bei der Mundkommunion den Gläubigen die Patene unter den Kiefer hielten und viele nach den Worten „corpus christi“ mit geschlossenen Augen, fast introvertiert den Leib Christi empfingen. Wir fieberten direkt mit, dass ja kein Leib Christi auf den Boden fiel, denn das wäre ein Sakrileg gewesen und die Gläubigen trauten sich aus Ehrfurcht nicht, die Hostie richtig zu kauen, im Glauben, das könnte ja Jesus weh tun.

Noch in dieser Zeit - das muss man sich vor Augen halten - , wo der Begriff „corpus christi“ direkt magisch aufgeladen war, gaben die Mömlinger ihrer Kirche den Namen „corpus domini - Leib des Herrn“. Sie hatten den Mut, als Patrozinium ihrer neuen Kirche und für ihre Pfarrgemeinde den Namen „corpus domini“ zu wählen. Keinen Namen eines Heiligen, wie sonst üblich. Sie haben nicht den Namen der alten Pfarrkirche St. Martin übernommen. Nein, völlig ungewöhnlich - für die damalige Zeit - wählten sie diesen Namen „corpus domini“.
Nomen est omen - der Name ist immer ein Programm. Brachte er doch zum Ausdruck: Wir wollen nicht nur ehrfürchtig auf die großen Vorbilder, auf die Heiligen unserer Kirche schauen. Wir selbst sind corpus domini - Leib des Herrn. Wir wollen nicht nur auf die Großen unseres Glaubens blicken - mit den Gefühl im Bauch: das ist für uns unerreichbar. Nein! Wir schreiben uns mit diesem Namen corpus domini ins Stammbuch unserer Gemeinde: Wir wollen von uns selbst groß denken - wir sind der Leib Christi - und wir wollen uns zugleich in die Pflicht nehmen lassen und uns sagen lassen: Wir sind buchstäblich der Leib Christi: Hände, die sein Werk verrichten, Füße, die seine Aufträge ausrichten, eine Stimme, die für ihn spricht und für ihn Partei ergreift. Wir verkörpern mit und in unserem Leben die Botschaft Jesu.
Das ist alles andere als Hybris, das ist Aufgreifen eines großen biblischen Gedankens, den der Apostel Paulus als Gemeindetraum entfaltet. Das ist ein aufregendes Programm einer christlichen Gemeinde, das umgesetzt werden will und einer Gemeinde viel abfordert.
Mit dem Bild vom Leib und den Gliedern versucht Paulus, den Korinthern zu erklären, was er unter christlicher Gemeinschaft im Sinne Jesu versteht: Jedes einzelne Mitglied hat seinen Wert, seine besondere Begabung, seine spezifische Aufgabe. Aber nur im Zusammenspiel aller Mitglieder kann das Gemeindeleben gelingen. Die Einheit lebt aus Vielfalt, und keiner kann ohne den anderen Christ sein.

Dieses Gemeindemodell inspirierte unsere Pfarrgemeinden in den 60-er und 70-er Jahren. Ungeheuer viele Menschen engagierten sich aktiv, beteiligten sich am Gemeindeleben, gründeten Gruppen und Initiativen. Die Frucht dieser Bewegung, eine ungeheuer lebendige Gemeinde durfte ich als Pastoralpraktikant 1982/83 hier in Mömlingen erleben. Einen Leib Christi, der jung und vital war, nach vorwärts schauend, voller Ideen und Träume. Inzwischen ist vieles anders geworden in unseren Gemeinden. Der Leib Christi ist müde geworden, schwerfällig, depressiv, vielleicht stellenweise sogar amputiert. Wir bräuchten dringend Blutauffrischung: Junges Blut, neue Ideen, begeisterte und begeisterungsfähige Menschen. Was kann uns in dieser Situation das Bild vom Leib des Herrn heute noch sagen?

Ich meine, das Bild vom Leib Christi kann uns heute ein Zweifaches mit auf den Weg geben. Und jeden Impuls möchte ich mit einer Geschichte verdeutlichen.

Ein erster Impuls, den das Gleichnis vom Leib Christi gibt: Entdecke wie wertvoll du für die anderen bist!

Es war einmal ein Gaukler, der tanzend und springend von Ort zu Ort zog, bis er des unsteten Lebens müde war. Da gab er alle seine Habe hin und trat in das Kloster zu Clairveaux ein. Aber weil er sein Leben bis dahin mit Springen, Tanzen und Radschlagen zugebracht hatte, war ihm das Leben der Mönche fremd, und er wusste weder ein Gebet zu sprechen noch einen Psalter zu singen.
So ging er stumm umher, und wenn er sah, wie jedermann des Gebetes kundig schien, aus frommen Büchern las und mit im Chor die Messe sang, stand er beschämt dabei: Ach, er allein, er konnte nichts. „Was tu ich hier?“ sprach er zu sich, „ich weiß nicht zu beten und kann mein Wort nicht machen. Ich bin hier unnütz und der Kutte nicht wert, in die man mich kleidete.“
In seiner Gram flüchtete er eines Tages, als die Glocke zum Chorgebet rief, in eine abgelegene Kapelle. „Wenn ich schon nicht mitbeten kann im Konvent der Mönche“, sagte er vor sich hin, „so will ich doch tun, was ich kann.“ Rasch streifte er das Mönchsgewand ab und stand da in seinem bunten Röckchen, in dem er als Gaukler umhergezogen war. Und während vom hohen Chor die Psalmgesänge herüberwehen, beginnt er mit Leib und Seele zu tanzen, vor- und rückwärts, links herum und rechts herum. Mal geht er auf seinen Händen durch die Kapelle, mal überschlägt er sich in der Luft und springt die kühnsten Tänze, um Gott zu loben. Wie lange auch das Chorgebet der Mönche dauert, er tanzt ununterbrochen, bis es ihm den Atem verschlägt und die Glieder ihren Dienst versagen.
Ein Mönch war ihm aber gefolgt und hatte durch ein Fenster seine Tanzsprünge gesehen und heimlich den Abt geholt. Am anderen Tag ließ dieser den Bruder zu sich rufen. Der Arme erschrak zutiefst und glaubte, er solle des verpassten Gebetes wegen gestraft werden. Also fiel er vor dem Abt nieder und sprach: „Ich weiß, Herr, dass hier meines Bleibens nicht ist. So will ich aus freien Stücken ausziehen und in Geduld die Unrast der Straße wieder ertragen.“ Doch der Abt neigte sich vor ihm, küsste ihn und bat ihn, für ihn und alle Mönche bei Gott einzustehen: „In deinem Tanze hast du Gott mit Leib und Seele geehrt. Uns aber möge er alle wohlfeilen Worte verzeihen, die über die Lippen kommen, ohne dass unser Herz sie sendet.“

(Nach einer französischen Legende. Aus: Hubertus Halbfaß: Der Sprung in den Brunnen)

Ich meine, diese Weisheit des Abtes hat unsere Kirche in den letzten Jahrzehnten vergessen. Menschen zu ermutigen, als Hand, als Fuß, als Ohr, als Auge in der jeweiligen Andersartigkeit erwünscht zu sein. Menschen zu ermutigen: Es ist das Wichtigste, was wir im Leben lernen können: das eigene Wesen zu finden und diesen unterschiedlichen Reichtum in eine Gemeinde einzubringen. Ich meine, wir sind in der Kirche zu homogen, zu wenig katholisch - was doch Gegensätze umfassend heißt! - geworden. Man wollte glattbügeln, zu sehr auf eine konservative Linie einschwören. Querdenken nicht erwünscht. Andersdenken, nicht fromm genug. Viele meinten, ihre spezifische Note sei nicht mehr erwünscht. Sie müssten erst ihre Glieder verrenken, damit sie in diesen Leib Christi hineinpassen. Würde es uns nicht gut stehen, zu manchem zu sagen: „Du, Du könntest genau mit dem, worin Du so anders bist als wir, unsere Gemeinschaft bereichern?“

Ein zweiter Impuls, den Paulus uns mit dem Bild vom Leib und den Gliedern gibt: Entdecke, wie wertvoll die anderen für dich sind.
Eine Geschichte von Paulo Coelho

Juan ging jeden Sonntag zum Gottesdienst. Aber nach einiger Zeit kam es ihm so vor, als sage der Pastor immer dasselbe, und er blieb dem Gottesdienst fern. Zwei Monate später, in einer kalten Winternacht, besuchte ihn der Pastor. Er ist sicher gekommen, um mich zu überreden, wieder zur Kirche zu gehen, dachte Juan. Er fand, er könne ihm nicht den wahren Grund sagen, nämlich die immer gleichen Predigten.
Während er sich eine Ausrede zurechtlegte, stellte er zwei Stühle vor den Kamin und begann, über das Wetter zu reden. Der Pastor sagte kein Wort. Juan, der eine Zeitlang vergebens versucht hatte, ein Gespräch in Gang zu bringen, schwieg ebenfalls. Beide blickten fast eine halbe Stunde lang schweigend ins Feuer. Dann erhob sich der Pastor und holte mit einem Zweig ein Stück Glut aus dem Feuer. Die Glut, die nicht mehr genug Hitze bekam, begann zu verlöschen. Juan beeilte sich, sie wieder in die Mitte der Feuerstelle zurückzuschieben.
“Gute Nacht”, sagte der Pastor und erhob sich , um zu gehen.
“Gute Nacht und vielen Dank”, antwortete Juan. „Merke dir, Juan“, sagte der Pastor,“ das Stückchen Glut, das fern vom Feuer ist, erlischt am Ende, so hell es auch anfangs geglüht haben mag. Der Mensch, der sich von seinesgleichen entfernt, kann seine Wärme und seine Flamme nicht erhalten, mag er auch noch so intelligent sein.“


Viele Menschen, wertvolle Menschen wie dieser Juan, wertvolle Glieder am Leib Christi haben aus oft berechtigten Gründen gesagt: „Zu diesem Leib möchte ich nicht mehr gehören“. Und das tut denen, die Sonntag für Sonntag in den Gottesdienst kommen, die sich in unserer Pfarrgemeinde einsetzen, weh. Von diesen Menschen ist heute kaum einer unter uns. Als einer von denen, die ganz bewusst auch heute noch Glied an diesem Leib Christi sein wollen, möchte ich allen, die sich in den letzten Jahrzehnten von dieser corpus domini-Gemeinde entfernt haben, zu bedenken geben:
Der Mensch, der sich von seinesgleichen entfernt, kann die Wärme und die Flamme des Glaubens nicht allein erhalten, mag er auch noch so intelligent sein.
Ich hoffe, alle, die uns den Rücken gekehrt haben, vergessen trotz aller Enttäuschung und Kritik nie, was sie und unsere Gesellschaft diesem Leib Christi verdanken, all den Menschen, die still, im Hintergrund, ehrlich und menschlich und ohne Hintergedanken im Alltag für andere da sind, ohne ihr Christsein groß auf die Fahne zu schreiben. Ich hoffe, sie sind so fair und vergessen nicht: Gerade diese große Zahl von einfachen Gliedern macht die Würde an diesem corpus domini aus und prägt das eigentliche Gesicht der Kirche.

Liebe Mömlinger,
inzwischen ist aus der Pfarrei „corpus domini“ die Pfarreiengemeinschaft „lumen christi“ geworden. Eines ist für mich klar: lumen christi, ein Licht für die Welt, kann ich nur sein, wenn ich mir bewusst bin, wie wertvoll ich an diesem Leib Christi bin und wie wertvoll die Glieder des Leibes Christi für mich sind.


Vor der Kommunion:
Esst, was ihr seid: Leib Christi.
Werdet, was Ihr esst: Leib Christi


Fürbitten

Herr, unser Gott: Als corpus domini-Gemeinde haben wir uns versammelt. Wir danken dir, dass wir zu ihr gehören dürfen und bitten dich:

Unsere Kirche braucht kluge Menschen, damit sie die Zeichen der Zeit erkennen und deuten kann, damit sie voraus denken und sich auf neue Situationen einstellen kann. Schenke uns Klugheit, Herr

Unsere Kirche braucht phantasievolle Menschen, damit deine Botschaft auf vielen Wegen weitergegeben wird, damit Menschen ihre Bedeutung für ihr Leben erfassen. Schenke uns Phantasie, Herr.

Unsere Kirche braucht zuverlässige Menschen, damit Vertrauen untereinander und zu dir wachsen kann. Schenke uns Zuverlässigkeit, Herr.

Unsere Kirche braucht tatkräftige Menschen, die nicht nur reden, sondern mit anpacken und durch ihr Handeln überzeugen. Schenke uns Tatkraft, Herr.

Unsere Kirche braucht entscheidungsfreudige Menschen, damit sie nicht den Weg des geringsten Widerstands geht, damit sie es nicht jedem recht machen will und dadurch unglaubwürdig wird. Schenke uns Entschiedenheit, Herr.

Unsere Kirche braucht liebenswürdige Menschen, damit sie ihren Charme und ihre Anziehungskraft nicht verliert. Schenke ihr Liebenswürdigkeit, Herr.

Darum bitten wir dich durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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