Jesus macht nicht mehr mit

Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis (Lk 12,49-53)

Predigt

In der Oberstufe des Gymnasiums haben mich die Schriften von Wolfgang Borchert sehr beeindruckt: Das Heimkehrer Drama „Draußen vor der Tür“ oder auch die Kurzgeschichte „Jesus macht nicht mehr mit“. Diese erzählt von drei Soldaten der deutschen Wehrmacht, die an der Front Löcher in den gefrorenen Boden sprengen, um dort Leichen zu vergraben. Einer der drei muss immer testen, ob die Gräber groß genug sind. Er muss sich in jedes Loch legen und mit seinem Körper nachmessen, ob die Gefallenen hineinpassen. Seine Vorgesetzten haben ihm den Namen „Jesus“ gegeben, weil er so sanft aussieht. Eines Tages kommt es zum Konflikt mit seinen Vorgesetzten, als „Jesus“ den täglichen Umgang mit den Toten und den immer sich wiederholenden Grabtest nicht mehr aushält. Er weigert sich, in die Löcher zu steigen und verweigert den Befehl. Borchert erzählt:

Er stand in dem viel zu flachen Grab, hauchte einen warmen Nebel gegen seinen entblößten frierenden Finger und sagte leise: Ich mach nicht mehr mit. Was ist los, glotzte der eine von den beiden, die in das Grab sahen, ihn an. Ich mach nicht mehr mit, sagte Jesus noch einmal ebenso leise und steckte den kalten nackten Mittelfinger in den Mund. Haben Sie gehört, Unteroffizier, Jesus macht nicht mehr mit.
Der andere, der Unteroffizier, zählte die Sprengkörper in eine Munitionskiste und knurrte: Wieso? Er blies den nassen Nebel aus seinem Mund auf Jesus zu: Hä, wieso? Nein, sagte Jesus noch immer ebenso leise, ich kann das nicht mehr. Er stand in dem Grab und hatte die Augen zu. Die Sonne machte den Schnee so unerträglich weiß. Er hatte die Augen zu und sagte: Jeden Tag die Gräber aussprengen. Jeden Tag sieben oder acht Gräber. Gestern sogar elf. Und jeden Tag die Leute da reingeklemmt in die Gräber, die ihnen immer nicht passen. Weil die Gräber zu klein sind. Und die Leute sind manchmal so steif und krumm gefroren. Das knirscht dann so, wenn sie in die engen Gräber geklemmt werden. Und die Erde ist so hart und eisig und unbequem. Das sollen sie den ganzen Tod lang aushalten. Und ich, ich kann das Knirschen nicht mehr hören. Das ist ja, als wenn Glas zermahlen wird. Wie Glas.

Er kletterte aus dem flachen Grab heraus. Dann ging er, ohne auf die beiden anderen zu achten, an ihnen vorbei durch den knirschenden Schnee auf das Dorf zu.

Hinter ihm schrie der Unteroffizier: Jesus! Sie kehren sofort um! Ich gebe Ihnen den Befehl! Sie haben sofort weiterzuarbeiten! Der Unteroffizier schrie, aber Jesus sah sich nicht um.
Ich muss ihn melden. Der Unteroffizier machte einen feuchten wattigen Nebelballen in die eisige Luft. Melden muss ich ihn, das ist klar. Das ist Dienstverweigerung. Wir wissen ja, dass er einen weg hat, aber melden muss ich ihn.
Warum heißt er eigentlich Jesus, grinste der andere.
Oh, das hat weiter keinen Grund. Der Alte nennt ihn immer so, weil er so sanft aussieht. Der Alte findet, er sieht so sanft aus. Seitdem heißt er Jesus. Ja, sagte der Unteroffizier und machte eine neue Sprengladung fertig für das nächste Grab.


Der Alte nennt ihn immer so, weil er so sanft aussieht. Der Alte findet, er sieht so sanft aus. Seitdem heißt er Jesus.

Liebe Leser, ich frage mich: Haben nicht auch wir Jesus im Lauf der Geschichte zu sanft gezeichnet. Haben wir ihn uns nicht zu sanft zurechtgerückt, dass er uns passt. Aber bei diesem Bild des sanften Jesus macht Jesus nicht mit. Dafür steht doch das heutige Evangelium Pate. Nichts von einem sanften, alles verstehenden Jesus: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen...Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, ich sage, nicht Frieden, sondern Spaltung!“

Wo ist da der sanfte Jesus? Das klingt nach Familienkrach. Er redet wie einer, der Unruhe stiften will, wie einer, der Menschen, die gut miteinander ausgekommen sind, gegeneinander aufbringen will.
Solche Worte aus dem Mund Jesu passen uns nicht. Und doch stehen schon zu Beginn des menschenfreundlichen Lukasevangeliums die Worte des greisen Simeons wie eine Ankündigung: „Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird!“

Mit seinen Ideen und Ansichten brachte er Zunder in seine eigene Familie. Er legte sich mit den religiösen Führern seines Volkes an. Und sein Kreuzestod steht wie ein Ausrufezeichen da, dass er als Unruhestifter und als einer der anprangert von gesellschaftlichen Standards empfunden wurde.

Das heutige Evangelium zeigt einen Störenfried, der nicht alles gut heißt, was Menschen so sagen und tun, was allgemein üblich und in ist. Es zeigt einen, der Entschiedenheit fordert, wenn es um die Frage eines gläubigen Lebensstils geht.
Es hat mich beeindruckt, als ich las: Wenn in Spanien heute ein Erwachsener um die Taufe bittet, dann stellt der Priester nicht einfach die berühmte Frage „Widersagst du dem Teufel?“ Er aktualisiert den Wortlaut und fragt:
Widersagst du den Werken des Satans - die da sind:
Neid- und Hassgefühle, Trägheit und Gleichgültigkeit, Mangel an Zivilcourage und das Gefühl, du könntest sowieso nichts ausrichten, Schwermut und Pessimismus, Materialismus und Schielen nach schönem Schein, Mangel an Glauben, Hoffnung und Liebe?

Darum geht es dem aufmüpfigen Jesus: Nicht einfach gedankenlos mitrennen, sondern Position aus dem Glauben heraus beziehen!

Fürbitten

Herr, unser Gott, wir spüren, dass das Evangelium uns herausfordert und eine Entscheidung von uns verlangt. Wir bitten dich:

Gib uns den Mut zur Geradlinigkeit und die Kraft, nicht den Weg des geringsten Widerstands zu gehen

Gib uns den Mut, zu unserer Überzeugung zu stehen und die Kraft, nicht zu allem um des lieben Friedens willen zu schweigen

Gib uns den Mut und die Kraft an deiner Botschaft festzuhalten, auch wenn wir deshalb belächelt werden

Gib Politikern den Mut, sich für Frieden und ein respektvolles Miteinander einzusetzen und Unrecht zu benennen, auch wenn dies zu ihrem eigenen Nachteil sein kann

Wir beten für unsere Verstorbenen. In diesem Gottesdienst nennen wir stellvertretend für alle die Namen von....
Schenke ihnen den ewigen Frieden bei dir

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de