Wahrer Glaube: nicht rückwärts, sondern vorwärts – nicht Sicherheit, sondern Risiko!

Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (Hebr 11,1-2.8-19)

Einleitung

Wenige Wochen vor seinem 75. Geburtstag und den damit verbundenen Ausscheiden aus dem aktiven Dienst als Bischof von Limburg verabschiedete sich Franz Kamphaus von seinen Priesteramtskandidaten. Diese baten ihn um einen geistlichen Zuspruch. Kamphaus überlegte kurz und sagte: Ich möchte Ihnen ein Wort aus dem Hebräerbrief mitgeben: „Werft also eure Zuversicht nicht weg!“ (Hebr 10,35).
Nicht erst heute gibt es in der Kirche Ängste und Sorgen um den Fortbestand des kirchlichen Lebens. Der Hebräerbrief, aus dem wir heute die Lesung hören, ist ein altes Zeugnis aus einer solchen Zeit, wo Glaube angefochten wird. Er ist aber zugleich auch ein Zeugnis dafür, dass mitten in unsicheren Zeiten und Zeiten des Umbruchs, Neues möglich ist.

Predigt

Lückentexte sind auch noch heute in der Schule ein beliebtes pädagogisches Mittel. Ein Lückentext ist ein Text, in dem Wörter oder ganze Satzteile ausgelassen wurden. Die Schüler sind aufgefordert, die fehlenden Textteile zu ergänzen. Ein Beispiel:
Ein Lehrer gibt seinen Schülern folgenden Lückentext vor:
„Heute ging ich zum __________ und kaufte Milch und Eier. Ich wusste, dass es regnen könnte, aber ich vergaß meinen ___________ und wurde ____.”
Die Schüler sollen dann den Text vervollständigen. Die Lösung würde dann heißen: Heute ging ich zum Supermarkt und kaufte Milch und Eier. Ich wusste, dass es regnen könnte, aber ich vergaß meinen Regenschirm und wurde nass.

Wie würden Sie im Fach Religion folgenden Lückentext ausfüllen: Glaube aber ist: Feststehen in dem, was _______________ . Überzeugt sein von Dingen, die ____________________ .
Ich vermute Ihre Antworten würden lauten:
Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man gelernt hat, oder was die Kirche lehrt . Überzeugt sein von Dingen, die im Katechismus oder in der Bibel stehen. Wenn Sie in dieser Art oder so ähnlich geantwortet hätten, liegen Sie völlig auf der Linie der Kirche. Aber: Sie liegen nicht auf der Linie des Hebräerbriefes.

Es lässt mich staunen, wie der Hebräerbrief den Lückentext ausgefüllt hat und wie er „Glaube“ definiert:
Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft. Überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht.
Feststehen in dem, was man erhofft, das hat nichts mit Vergangenheit, sondern Zukunft zu tun, hat nichts mit Beweisen, Dogmen und klar nachzulesenden Vorschriften zu tun. Wozu alle nicken, was alle herunterleiern, das hat für den Hebräerbrief noch nichts mit „Glauben“ zu tun. Glaube hat für ihn mit dem Übersteigen von Realität und Kalkül zu tun, mit Wagemut und Risiko.
Wirklich Glaubende sind für den Hebräerbrief Menschen, die erhoffen, was scheinbar unmöglich ist; die in ihrem Leben im Vertrauen auf Gott wagen, was eigentlich unmöglich erscheint. Andere würden sie vielleicht „Spinner“ nennen.
Aber der Hebräerbrief sagt: „Vorsicht!“ Gerade die Größten in unserer Glaubensgeschichte waren genau solche Spinner. Wir haben das nur vergessen. Als ersten nennt er Abraham: Im hohen Alter fängt er noch einmal neu an. Lässt Haus und Hof hinter sich. Zieht in ein fremdes Land. Wohnt dort in einem Zelt – und erwartet eine Stadt, die von Gott selbst gebaut wird!
Ein Spinner? Der Hebräerbrief sagt: Ein wahrhaft Glaubender! Von ihm stammen alle ab, die heute gut gekleidet und wohlbestallt in den Synagogen und Kirchen sitzen … aber sind sie noch von einem solch risikobereiten Glauben beseelt?

Liebe Leser,
auch in unseren Tagen gab und gibt es solche Menschen. Scheinbare Spinner, aber sie bringen unsere Welt voran.
Ich denke da z. B. an John F. Kennedy. Er soll einmal gesagt haben:
Du siehst Dinge und fragst "Warum?", doch ich träume von Dingen und sage "Warum nicht?"“
Solche Spinner – der Hebräerbrief würde sagen: solche wirklich Glaubende – bringen die Welt voran.
Und wie gut würde uns heute ein solches Glaubensverständnis gerade in unseren christlichen Kirchen tun!

Fürbitten

Gott, im Vertrauen, dass du uns auf dem Weg durch das Leben begleitest, bitten wir dich:

Für alle, die sich um einen lebendigen Glauben bemühen: dass sie durch Widerstände und die Erfahrung von Gleichgültigkeit nicht mutlos werden, sondern durch dein Wort immer neue Hoffnung schöpfen

Für alle, die in der Kirche mit dem Dienst der Leitung beauftragt sind: Schenke ihnen Wachsamkeit und Zuversicht und gib ihnen das rechte Wort, um Menschen zu ermutigen.

Für alle, die ihren Lebensmut verloren haben: Schenke ihnen neue Zuversicht und den Glauben an dich.

Für unsere Verstorbenen, die ihre Hoffnung auf dich gesetzt haben. In diesem Gottesdienst nennen wir stellvertretend die Namen von........................Schenke ihnen die Fülle des Lebens bei dir.

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.










Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de