«Unterbrich mich nicht, ich bete!»

Ein Zwiegespräch zum Vater unser (Lk 11,1-3) (C/17)

»Vater unser im Himmel.« (= Beter im fränkischen Dialekt))
»Ja?« (= Gottes Stimme aus dem Off)
»Unterbrich mich nicht! Ich bete.«
»Aber du hast mich doch angesprochen!«
»Ich dich angesprochen? Äh...nein, eigentlich nicht. Das beten wir eben so: Vater unser im Himmel.«
»Da - schon wieder! Du rufst mich an, um ein Gespräch zu beginnen, oder? Also, worum geht's?«
»Geheiligt werde dein Name...«
»Meinst du das ernst?«
»Was soll ich ernst meinen?«
»Ob du meinen Namen wirklich heiligen willst. Was bedeutet das denn?«
»Es bedeutet...es bedeutet...meine Güte, ich weiß nicht, was es bedeutet. Woher soll ich das wissen?«
»Es bedeutet, dass du mich ehren willst, dass ich dir einzigartig wichtig bin, dass dir mein Name wertvoll ist.«
»Aha. Hm. Ja, das verstehe ich... Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden...«
»Tust du was dafür?«
»Dass dein Wille geschieht? Natürlich! Ich bete doch! Außerdem gebe ich Geld für die Mission, für die Armen, für Misereor und für Adveniat.«
»Ich will mehr. Dass dein Leben in Ordnung kommt. Dass deine Angewohnheiten, mit denen du anderen auf die Nerven gehst, verschwinden, dass du von anderen her und auf sie hin anders denken lernst. Dass allen Menschen geholfen werde und Du von mir erzählst, auch deinen Kolleginnen und Mitarbeiterinnen. Ich will, dass Kranke besucht, Hungernden geholfen, Trauernden nicht aus dem Weg gegangen und auf In-Sich-Gefangene zugegangen wird. Denn alles, was du diesen Leuten tust, tust du doch für mich!«
»Warum hältst du das ausgerechnet mir vor!? Was meinst du, wie viele steinreiche Heuchler in den Kirchen sitzen. Schau die doch an!«
»Entschuldige. Ich dachte, du betest wirklich darum, dass mein Herrschaftsbereich kommt und mein Wille geschieht. Das fängt nämlich ganz persönlich bei dem an, der darum bittet. Erst wenn du deinen Willen mit meinen in Einklang bringst, erst wenn du dasselbe willst wie ich, kannst du ein Botschafter meines Reiches sein.«
»Das leuchtet mir ein. Kann ich jetzt mal weiter beten? Unser tägliches Brot gib uns heute...«
»Du hast Übergewicht, mein Lieber! Deine Bitte schließt die Verpflichtung ein, etwas dafür zu tun, dass die Millionen Hungernden dieser Welt ihr tägliches Brot bekommen. Und außerdem - es gibt auch noch anderes Brot.«
»Du meinst das Brot, das die in der Kirche verteilen?«
»Ja, zum Beispiel. Du bittest darum, aber Du willst es gar nicht; sonst wärst Du letzten Sonntag gekommen. Der in diesem Brot da ist und dir ein menschliches Leben vorgelebt hat, könnte dir helfen.«
»Helfen? Wobei? Mir geht's doch ganz gut...«
»Ja? Dann bete doch noch eine Bitte weiter...«
»Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern...«
»Und Thomas?«
»Thomas? Jetzt fang' du auch noch von dem an! Du weißt doch, dass er mich öffentlich blamiert, dass er mir jedes Mal dermaßen überheblich entgegentritt, dass ich schon wütend bin, bevor er seine herablassenden Bemerkungen gemacht hat. Und das weiß er auch! Er lässt meine Meinung nicht gelten - nur das, was er sagt, ist richtig, dieser Typ hat...«
»Ich weiß, ich weiß. Und dein Gebet?«
»Ich meinte es nicht so.«
»Du bist wenigstens ehrlich. Macht dir das eigentlich Spaß, mit so viel Bitterkeit und Abneigung herumzulaufen?«
»Es macht mich krank.«
»Warum versuchst du es nicht anders. Aggression kostet so viel Kraft und Energie. Du kannst den anderen nicht ändern. Was du tun kannst, ist, ihm gegenüber fair zu bleiben. Und ist dir bewusst, dass andere auch mit dir nicht zurechtkommen. Auch du machst nicht alles richtig. Auch du bist auf Vergebung angewiesen. Meiner Vergebung kannst du dir sicher sein. Glaub mir, Frieden kommt nur in ein vergebungsbereites Herz.«
»Hm. Ich weiß nicht, ob ich mich dazu überwinden kann.«
»Ich helfe dir dabei, ich schenke Dir Kraft.«
»Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen...«
»Ich weiß, was ihr alles bei dieser Bitte denkt. An schöne Frauen, an falsche Steuererklärungen, an das Herziehen über andere. Aber merk dir! So hat es Jesus überhaupt nicht gemeint!«
»Wie soll ich es dann verstehen?
»Bete bei dieser Bitte darum, dass du in schwierigen Lebenslagen, wenn du keinen Boden unter den Füßen mehr hast und nicht mehr aus und ein weißt, nicht an mir irre wirst.«
»Ich glaube, das ist das schwierigste Vaterunser, das ich je gebetet habe. Aber es hat zum ersten Mal was mit meinem Leben zu tun.«
»Schön. Wir kommen vorwärts. Bete ruhig zu Ende.«
»Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.«
»Weißt du, was ich herrlich finde? Wenn Menschen wie du anfangen, einmal nachzudenken, was sie beten und ernst nehmen, was sie beten. Wenn sie sich fragen: Was will Gott eigentlich von mir? Wenn sie merken, dass ihr Wirken für das Kommen meines Reiches sie letztlich selbst glücklich macht.«
Verändert nach einer Idee von Clyde Lee Herring


Pfarrer Stefan Mai

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