Wenn nichts mehr geht, dann geh‘ einfach weiter!

Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (Lk 10,1-12)

Unsere Gesellschaft ist schon lange nicht mehr einheitlich geprägt. Längst ist sie nicht mehr agrarisch strukturiert und von einer einheitlichen Arbeiterklasse kann ebenso wenig die Rede sein. Unsere Gesellschaft differenziert sich vielmehr in ganz verschiedene Milieus aus mit je eigenen Lebensstil und Lebensanschauungen.
Das hat auch Auswirkungen auf das kirchliche Leben. Das hat auch die Pastoral entscheidend verändert. Im Zuge dieses gesellschaftlichen Wandels wurde eine ganze Bandbreite von zielgruppenorientierter Arbeit entwickelt. Da gibt es die Kinder-, Jugend-, Familien und Seniorenarbeit, Männer- und Frauenseelsorge, Arbeiter-, Akademiker-, Künstler-, Polizei-, Krankenhaus- und Notfallseelsorge, Berufungspastoral usw. Die Katechesen werden immer vielfältiger und spezieller auf die Zielgruppen hin ausgerichtet: Tauf-, Kommunion-, Buß-, Firmkatechesen, eigene Ehevorbereitungskurse und ein vielfältiges Angebot von Erwachsenenkatechesen und Bildungsangeboten. Mit niederschwelligen Angeboten will sie in den Städten für Passanten offen sein und zugleich religiös Interessierte in Exerzitien-, Meditations- und Glaubenskursen in ihrem religiösen Leben weiterbringen. Die Kirche versucht an den entscheidenden Lebenswenden präsent zu sein und hat ein weitgefächertes Beratungsangebot aufgebaut: Ehe-, Familien-, Schuldner-, Lebens-, Aidsberatungsstellen.

In der Tat: eine große Bandbreite an Spezialisierung und Ausdifferenzierung mit dem Ziel, Menschen unterschiedlichster Art und Prägung mit der Botschaft des Glaubens zu erreichen! Und trotzdem: das lähmende Gefühl und die offene Frage: Kommen wir mit unserer Botschaft überhaupt in unseren Breitengraden bei den Menschen noch an? Oder müssen wir nicht zugeben: Kirche sät derzeit auf Beton - von wegen: „Die Ernte ist groß!“, wie es heute im Evangelium behauptet wird.
Wie gehen wir mit diesem Gefühl um? Beleidigte Hanswürste spielen, sich in eine Art Schneckenhaus zurückziehen, aggressiv werden, Schuld bei sich selbst oder bei den anderen suchen? Frustration und Depression schieben? Das alles beobachte ich in der kirchlichen Landschaft.

Da lässt mich eine Passage im heutigen Evangelium aufhorchen. Denn da rät Jesus: „Wenn ihr in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe!“
Was heißt das für uns als Kirche in Zeiten scheinbarer Erfolglosigkeit?

Kann dies nicht heißen:
Wenn ihr guten Willens und ohne Hintergedanken den Glauben weitergeben wollt und damit bei bestimmten Menschen nicht ankommt, dann lasst sie damit in Ruhe und traktiert sie damit nicht weiter. Kann das nicht heißen: Ihr wollt nicht - also braucht ihr mit uns auch nicht mehr zu rechnen. Aber das heißt nicht: Ich habe das Meinige getan, es war vergebens, jetzt leg ich die Hände in den Schoß und rühre keinen Finger mehr.
Jesu Programm lautet: Wenn nichts geht, dann geh‘ weiter! Gesteh‘ dir ein: Du bist jetzt nicht der richtige Ansprechpartner für diese Menschen. Aber versuch es woanders! Wenn du keine Chance bei der Jugend hast, dann öffnet sich vielleicht eine Tür der Glaubensweitergabe in der Ministrantenarbeit. Wenn die meisten nicht mehr in die Kirche kommen, dann sieh noch die Chance der Glaubensverkündigung an den Gräbern. Wenn in den Familien kein Platz für Gebete und Lieder mehr ist, dann ist der Kindergarten ein neues pastorales Feld. Vielleicht bleibt das Lied hängen, das die Kleinen miteinander lernen und singen.

Das Faszinierende an der Jesusstrategie ist: Nicht unsere Pastoralplanungen sind entscheidend. Wir können nur Experimentierende sein. Gott bestimmt selbst die Einfallstore des Glaubens. Dazu das bombensichere Vertrauen: Und sollte unsere Glaubensverkündigung keinen Erfolg haben – das Reich Gottes ist trotzdem nahe. Das heißt: Gott verliert sein Interesse am Menschen nie!


Pfarrer Stefan Mai

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