Wo der das nur her hat?

Predigt zu Gal 1,11-19

„Keiner in unserer Familie ist so zappelig wie der! Unser Vater ist die Ruhe in Person. Dem musst du jedes Wort aus der Nase herausziehen. Und ich bin doch auch zurückhaltend. Und von Oma und Opa wüsste ich nicht, dass die andauernd auffallen wollten. Und auch unsere anderen Kinder sind doch alle handsam. Nur der bringt mit seiner Zappelei so eine Unruhe in unser Haus. Möcht‘ nur wissen, wo der das her hat!"

„Ich wundere mich, wo die das nur her hat. Von uns spielt doch keiner ein Instrument. Wir können nicht mal richtig singen. Und Noten kennt schon gar keiner. Und unser Mädchen hat so eine Freude am Klavierspielen. Und die Lehrerin hat gesagt: Nächstes Jahr kann sie vielleicht schon bei ‚Jugend musiziert‘ mitmachen."

Das kommt vor: Positive wie negative Auffälligkeiten - nicht erklärbar durch die Gene, die weitervererbt wurden. Nicht ableitbar von dem, was den Kindern durch Erziehung beigebracht worden ist. Nicht von den Eltern vorgelebt, so dass es die Kinder einfach unbewusst hätten abschauen können.
Ich meine, auf diesem Hintergrund versteht man einen Apostel Paulus besser. Man kapiert sofort, worauf er hinauswill, wenn er schreibt:
„Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen. Ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Christi.“

Und er zählt auf, wie er von der jüdischen Religion und ihren Besonderheiten bis auf die Knochen geprägt war und die ersten Christen deswegen verfolgt hat, weil sie es nicht so genau damit genommen haben. Und wie er dann plötzlich selbst auf der anderen Seite steht – und keiner weiß, warum.
Paulus gibt die Erklärung: Da hat Gott in meinem Leben dazwischengefunkt. Ich hatte doch keine christlichen Lehrer. Ich habe mir nie einen Rat bei den Aposteln geholt. Ja, ich bin ihnen drei Jahre lang überhaupt nicht begegnet. Wo soll ich es denn herhaben? Wie sonst soll denn meine Umkehr zum christlichen Glauben bewirkt worden sein – wenn nicht durch Gott selbst?

Liebe Leser,
in einer Zeit, in der Glaubensbiographien immer seltener werden, in der immer weniger Menschen den Glauben mit der Mutterbrust einsaugen, in einer Zeit, in der es immer weniger Eltern gelingt, ihren Glauben und ihre kirchliche Prägung unmittelbar an ihre Kinder weiterzugeben, da macht mir dieser Paulus Hoffnung.
Ich bin überzeugt, dass es auch in Zukunft Menschen ähnlich gehen wird wie diesem Paulus, dass sie durch ein besonderes Ereignis, durch eine Begegnung mit dem Glauben in Berührung kommen – und dann erst davon gepackt werden und nie mehr davon loskommen.
Das macht mir Hoffnung. Nicht alles liegt an uns. Vielleicht funkt auch in unseren Tagen manchmal Gott dazwischen.


Pfarrer Stefan Mai

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