Ein Gefühl wie an Pfingsten

Predigt zum Pfingstsonntag 2013 (Apg 2,1-11; Joh 7,37-39)

Einleitung
Wenn man etwas Romantisch-Traumhaftes erlebt hat, spricht man von einem „Gefühl wie an Weihnachten“. Wenn man etwas Schweres erlebt hat, eine Krankheit überstanden hat und wieder aus der Krise herausgekommen ist, sagt man: Ich fühle mich wie neu geboren. Oder: Ich bin wieder aufgestanden. Ein Gefühl wie an Ostern.
Komisch, dass das dritte christliche Hochfest im Jahresablauf, Pfingsten, im Gefühlsbarometer der Menschen keinen Haftpunkt hat. An Pfingsten macht man höchstens Urlaub.
Aber ich behaupte: Das gibt es, ein „Gefühl wie an Pfingsten“.

Predigt
Ich versteh dich nicht! Wenn einer so etwas sagt, dann kann das heißen: Du, ich hör' schlecht! Sprich lauter!
Wenn ein Franke an der Nordsee Urlaub macht und zu einem Ostfriesen sagt: Du, ich versteh' dich nicht, dann heißt das: Mit deinem Dialekt kann ich nichts anfangen. Sprich Hochdeutsch oder Fränkisch!
Wenn einer aus einem Vortrag herauskommt und sagt: Du, ich hab Bahnhof verstanden, dann will er damit sagen: Das war einfach viel zu hoch für mich.
So mancher Gottesdienstbesucher hat das Gefühl: Lauter Worthülsen und fromme Floskeln, die ich da höre. Die Sprache in der Kirche ist so weit weg von meinem Leben. Sie ist wie eine Fremdsprache, die ich nicht verstehe.
Wenn ich als in die Jahre gekommener Erwachsener Jugendliche reden höre, dann fällt mir auf: Die verwenden ganz andere Worte als ich, da wird eine andere Sprache gesprochen.
Und es ist wie eine Kapitulation, wenn Menschen zueinander sagen: Du, wir verstehen uns nicht mehr.

Wir feiern heute Pfingsten. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen: Das Wunder von Pfingsten ist: Menschen verstehen sich. Über Sprachgrenzen und Nationalitäten hinweg. Jeder darf seinen Dialekt sprechen und wird trotzdem verstanden. Die da aus dem Haus, in dem sie sich verschanzt haben, heraus auf die Straße treten, die werden mit dem verstanden, was ihnen am Herzen liegt. Sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, aber was sie sagen wollen, kommt rüber. Sie dürfen spüren: Wir werden verstanden. Der Funke springt über. Was uns wichtig ist, wird von anderen mitgetragen.

Liebe Leser,
was sich in Jerusalem ereignet hat, das war ein großes Pfingsten: Völkerverständigung. Brückenschlag zwischen Nationen. Das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Begeisterte Stimmung. Das passiert nicht alle Tage.
Aber einen Zipfel davon können wir so manches Mal spüren: Immer dann, wenn einer zu mir sagt: Du, ich versteh dich gut. Wenn Menschen zueinander sagen: Wir verstehen uns.
Das sind kleine Pfingsten mitten im Alltag: Das Gefühl: wir verstehen uns. Es gibt Menschen, die mich verstehen und die zu mir stehen.

Fürbitten
Herr, unser Gott, du sendest deinen Geist in die Welt. Er erneuert das Antlitz der Erde und schafft Begegnung.
Auf die Bitten antworten wir mit: ... dass sie sich neu begegnen!

A: ... dass sie sich neu begegnen!

Sende deinen Geist zu verfeindeten Gruppen, die sich in Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen gegenüberstehen ...

Sende deinen Geist zu den christlichen Konfessionen, die nebeneinander ihren Glauben leben ...

Sende deinen Geist in deine Kirche, in der verschiedene Strömungen aneinander vorbeireden ...

Sende deinen Geist in die Familien, deren Mitglieder sich entfremdet haben ...


Pfarrer Stefan Mai

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