Piep, piep, piep...

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit (Joh 13, 31a.34.35)

In vielen Familien mit kleinen Kindern gehört es zum Ritual: Wenn die Familie sich zum Mittagessen zusammensetzt, nehmen sich alle an den Händen und sprechen dabei den kindlichen Reimvers „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb.“
Heißt dieses „wir haben uns alle lieb“, dass es in der Familie nie Streit unter den Geschwistern, zwischen den Eltern, zwischen Kindern und Eltern gibt? Bedeutet das, dass alle immer zueinander nett und freundlich sind?

Auch Jesus sitzt mit seinen Zwölf zum Essen zusammen. Eine angespannte Stimmung liegt in der Luft. Er steht auf, wäscht seinen Jüngern die Füße, Petrus gibt sich bockig, Judas schleicht sich schon davon und da steht Jesus auf und gibt wie ein letztes Vermächtnis seinen Freunden den Satz mit auf den Weg: „Ein neues Gebot gebe ich euch. Liebt einander! Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt.“
Dieser Satz nach der Fußwaschung macht deutlich: Liebe heißt nicht „Seid nett zueinander!“ Liebe hat nichts zu tun mit einem gequälten, vorgespielten Dauerlächeln in der Begegnung mit Menschen. Liebe hat nichts mit vorgespielter Harmonie zu tun. Liebe heißt nicht, jede und jeden sympathisch zu finden und unter allen Umständen Streit vermeiden.
Mit der Fußwaschung hat es Jesus selbst vorgemacht, was er unter Liebe versteht: anderen zu Diensten sein, respektvoll miteinander umgehen und bereit sein, Menschen zu verzeihen, die mich nicht verstehen können oder mir gar übel mitspielen.

Kathrin Hepburn, die bekannte amerikanische Schauspielerin, die im Jahr 2003 mit 97 Jahren gestorben ist und für markante Sätze bekannt war, hat es einmal ganz in dieser jesuanischen Linie auf den Punkt gebracht: „Liebe ist nicht das, was man erwartet zu bekommen, sondern das, was man bereit ist zu geben!“

Eine so verstandene Liebe ist keine „piep,piep,piep-Liebe“, ist nicht von Sympathie und Stimmung abhängig. Sie ist eine ständige Herausforderung.
Und auf den Punkt gebracht: Eine so verstandene Liebe ist die Quintessenz unseres christlichen Glaubens, sie müsste Erkennungszeichen der Christen, ihrer Gemeinden und Gemeinschaften sein. Und schon Jesus war davon überzeugt: Von einer so verstandenen Liebe hängt unsere Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft ab. Wie meinte er? "Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt!“


Pfarrer Stefan Mai

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