Das Lob der Faulheit

Predigt zum Siebenertag in Frankenwinheim (Spr 6,6-11; Mk 4,26-29)

Einleitung
Es ist ein Trend in unserer Gesellschaft. Man will wieder von der Natur lernen. Die moderne Forschung verdankt oft große Fortschritte dem genauen Beobachten der Natur. Wieder mehr in Einklang mit der Natur leben - das ist eine große Sehnsucht.
Das müssen ja nicht gleich skurril-amüsante Dinge sein wie zum Beispiel, dass in alpenländischen Ferienorten Therapiekurse angeboten werden, in denen der Gast das meditative Hineinversetzen in das Wiederkäuen der Kühe lernt – weil Tiere, insbesondere Kühe, in ihrer vermeintlich sinnungslosen Trägheit dem Menschen seit je als Gegenmodelle des eigenen Aktivismus gelten.
Meine Frage ist: Wollen das die Menschen, die als Landwirte in der Natur ihr Lebensumfeld, ihren Lebensraum und ihren Lebensunterhalt haben, auch?

Predigt
Am Feld eines Faulen ging ich vorüber
Und am Weinberg eines Unverständigen.
Und siehe, es war ganz von Unkraut überwuchert, seine Fläche war bedeckt von Wildwuchs, seine Mauer von Steinen war eingerissen.
Ich schaute und wurde aufmerksam,
ich sah und nahm eine Warnung mit:
Ein wenig noch schlafen, ein wenig noch schlummern, ein wenig die Arme verschränken zum Ruhen! –
So kommt wie ein Wegelagerer deine Armut und wie ein Bettler deine Not.


Solche Texte gefallen uns, die wir aus der Landwirtschaft stammen. Ich erinnere mich an die Flurprozessionen meiner Kindheit, wenn es so durch die Äcker ging. Die Flurprozession war nicht immer nur ein frommer Akt, sondern auch so eine Art öffentliche Flurinspektion und Begutachterrundgang. Da tuschelten die fleißigen Bauern über so manchen Unkrautacker. Man wusste ja, wem er gehört. Der Bauer gehörte nicht zu den Fleißigsten. Der ließ es langsam angehen.
Wir haben ja schließlich gelernt: „Ohne Fleiß kein Preis“. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. „Müd ist man nie - höchstens faul!“ - diesen Satz meiner Oma habe ich heute noch im Ohr.
Ja, wer aus der Landwirtschaft stammt, ist geimpft mit dem Virus, fleißig zu sein, von früh bis nachts zu arbeiten.
Das war in der Antike anders. Da galt die Muße als Ideal, als „Schwester der Freiheit“, wie es der Philosoph Sokrates ausdrückte. Mit der Industrialisierung und der Reformation kam die Wende. Müßiggang wurde zur Sünde, Arbeit zur heiligen Pflicht, und ist es seither in unseren Breitengraden geblieben. Faulsein und Müßiggang wurden uns so erfolgreich abgewöhnt, dass wir sie uns mühsam wieder aneignen müssen. Nichtstun war in früheren Zeiten ein erstrebenswerter Zustand, Quell der Inspiration und Zufriedenheit.

Aber wer von uns möchte schon als Fauler gelten? Wer würde sich trauen, ein Loblied auf die Faulheit zu singen?

Sicherlich, die körperliche Belastung hat in der modernen Landwirtschaft abgenommen. Die High-Technik in der Landwirtschaft nimmt die Knochenarbeit weg - und die Air-Condition in den klimatisierten Fahrerkabinen den Schweiß. Aber dieses Diktat in den Bauernhirnen: das immer mehr in immer kürzerer Zeit, fördert unter den Landwirten eine rasende bis zur Erschöpfung neigende Arbeitssucht. Müsste man vielleicht das alte Sprichwort in Bauernkreisen ändern? Nicht „Müßiggang ist aller Laster Anfang“, sondern das „Wachse oder Weiche-Prinzip“ mit dem damit verbundenen Stress.

Ich werde das Gespräch mit einem Landwirt nicht vergessen. Er meinte dem Sinn nach:
„Mir Bauern senn doch Deppen! Mir senn einfach zu fleißig. Wenn jeder von uns ein paar Stunden weniger arbet tät, bräucht mer a net so viele Flächen und net immer größere und teuere Maschinen. Und wir würden uns gegenseitig a net so neihetz und kaputt mach. Wir können efach nix mer nix tu. Und manchmal denk ich mer, wenn die große Bulldogg sonntags auf die Äcker rum fahrn, wenns wirklich net nötig wär: Da hat wieder ener Langweil dahem. Anstatt die Zeit zu nutzen, mit sei Familie a was zu machen oder efach mal faul sei, fährt mer halt a weng naus. Mer könnt ja nachert a weng die Nasn vorn dra hab. Und so wern wir Bauern zu den größten Sonntagsschändern!“

Hat dieser Mann so Unrecht?
Ja, uns aus der Landwirtschaft Stammende, gefallen Sätze wie aus dem Buch der Sprüche, fleißig wie die Ameisen zu sein und so mancher stimmt unserer fleißigen Bundeskanzlerin zu: „Niemand hat ein Recht auf Faulheit!“
Ich frage mich allerdings, liebe Leser, haben wir nicht die Erlaubnis zum zeitweiligen Faulsein vom Schöpfer, vom Chef persönlich, erhalten? Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebten darfst Du ruhn, darfst Du feiern, darfst Du faul sein, relaxen, einfach einmal nichts tun, dich einmal mit etwas anderem als der alltäglichen Arbeit beschäftigen.
Und übrigens: Nirgends finde ich bei Jesus selbst ein Lob auf die Fleißigen. Im Gegenteil, mit denen hat er es nicht, genauso wenig wie mit den Frommen. Er weist die nimmermüde Martha, die mit dem Finger auf ihre angeblich faule Schwester zeigt, in die Schranken.
Bis heute regen wir uns über sein Gleichnis von den Weinbergsarbeitern auf, weil er dem Arbeiter der letzten Stunde den gleichen Lohn auszahlen lässt wie den Fleißigen.
Jedes Mal - so meinte eine fleißige Bauersfrau - könnt ich dem Pfarrer das Evangelium aus der Hand reiß, wenn er da vorliest: „Sorgt euch nicht um euer Leben...Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in den Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie....Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.“
Wir kauen schwer an der Kost, die uns da Jesus auftischt: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber an seiner Seele Schaden leidet?“
Und Jesus nimmt schon damals den Bauern den Machbarkeitswahn, indem er ihnen das Gleichnis vom Bauern erzählt, der sät, ruhig schlafen geht und zuschauen darf, wie ohne ihn das Korn wächst und gedeiht – ganz automatisch.
Das müssen wir schon deutlich sehen: Bei Jesus einen Anwalt zum dauernden Fleißigsein und unaufhörlichen Rackern zu finden, da sind wir falsch dran.
Liebe Siebener,
ich spüre es selbst: Es ist eine echte Kunst, zeitweise ein wenig faul zu sein. Und doch spüre ich mit dem Älterwerden, diese Kunst würde uns, unserer Umwelt und den Menschen gut tun. Die einmalige Erfindung des Sabbats im Judentum und die Einführung des christlichen Sonntags als Einladung zur Unterbrechung des Diktats zum Fleißigsein, welch ein Segen, um den wir uns allzu oft selbst bringen. Welch ein Segen könnte dieser Tag der Erholung und seelischen Erhebung, wie ihn unser Grundgesetz nennt, sein!
„Ich tat nichts. und doch geschah so viel in mir.“ meinte einmal ein Dichter. Und machen es uns nicht die eigenen Äcker und Tiere vor: Nach der Ruhephase im Winter blüht auf den Feldern schöpferische Energie auf? Und eine Kuh, die vor dem Kalben nicht trockengestellt wird, kann auch nicht die erhoffte Leistung bringen.
Liebe Siebener, wie wäre es, wenn Sie vom heutigen Siebenertag folgenden Gedankenanstoß mit nach Hause nehmen? Vielleicht ist es für Siebener in unserer modernen Zeit ein neuer Auftrag: Nicht nur die Grenzen der immer größeren Äcker zu hüten, sondern auch ein neues Gefühl für die Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu entwickeln.

Fürbitten
Gott, du Schöpfer der Welt. Du hast in deine Schöpfung die Kräfte zum Wachstum, den Rhythmus von Tag und Nacht, von Sonne und Regen, von Hitze und Kälte hineingelegt. Und du hast uns deine Schöpfung anvertraut. Wir bitten dich:

Wir beten für alle, die im Haupt- oder Nebenerwerb in der Landwirtschaft tätig sind: um Freude an ihrer Arbeit und um die Fähigkeit, über die Wunder der Natur zu staunen

Wir beten für alle, die einen gnadenlosen Wettbewerb um Ackerflächen anheizen und nur noch sich selbst sehen: um ein Umdenken

Wir beten für alle Bauern, die wissen, dass ihr Betrieb nicht mehr von Kindern weitergeführt wird oder die aus Rentabilitätsgründen ihren Betrieb aufgeben müssen: um das Entdecken neuer Lebensperspektiven

Wir beten für uns selbst: um eine gesunde Einschätzung unserer Körper- und Geisteskraft und die Anerkennung der Grenzen unserer Leistungskraft

Wir beten für alle, die in ihrem Beruf Raubbau mit ihrer Gesundheit treiben: um das rechtzeitige Erkennung der Gefährdung für Leib und Seele

Wir beten für alle Siebener und für alle, die bei Flur- und Waldbereinigungen große Verantwortung tragen: um Gerechtigkeitssinn

Wir beten für unsere Verstorbenen, besonders für die Verstorbenen aus den Reihen der Siebener: um Ruhe und Frieden bei dir

Darum bitten wir dich durch Christus, unsern Herrn.



Pfarrer Stefan Mai

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