Ein besonderes Menu

Predigt zum Gründonnerstag 2013

Einleitung
Es ist eine beliebte Frage an Prominente: Was würden Sie tun, wenn Sie noch eine Stunde zu leben hätten?
Heute am Gründonnerstag hören wir in den Schrifttexten, was Jesus gesagt und getan hat, als er wusste: Es werden die letzten meines Lebens sein.

Predigt
7. Oktober 1997 in Texas. Die Tür zur Todeszelle geht auf. „Herr Nobles, was wünschen Sie sich als letzte Mahlzeit?“
So ist es Brauch in den USA. Jeder zum Tod Verurteilte darf sich kurz vor der Hinrichtung noch ein besonderes Menu wünschen. Meistens bestellen sich die Todeskandidaten ein opulentes Mahl. Oft ist es ihr Lieblingsgericht, das sie noch einmal genießen möchten: ein saftiges Steak, einen ausgewählten Fisch, knackiges Gemüse, eine Nachspeise, die auf der Zunge zergeht.
„Herr Nobles, was wünschen Sie sich als letzte Mahlzeit?“ Und der Gefängniswärter traut seinen Ohren nicht, als er hört: „Die Kommunion“.
Herr Nobles bekommt, was er sich gewünscht hat: Auf der Mitte eines weißen Tellers liegt die kleine Hostie. Als Beweismaterial wird sein letztes Menu photographiert.
Nobles saß nicht unschuldig in der Todeszelle. 10 Jahre zuvor hatte er zwei Frauen ermordet. Und jetzt will er die Kommunion.
Was bewegt diesen Mörder, sich am Ende seines Lebens dieses außergewöhnliche Menu zu bestellen? Was verspricht er sich von dieser kleinen weißen Scheibe Brot? Warum hat er ausgerechnet darauf Appetit?
In diesem kleinen weißen Stückchen Brot muss für ihn ein Geheimnis liegen, das mehr wert ist als alle exquisiten Speisen. Ob er sich an seine Kindheit erinnert? An das Gefühl des Kommunionempfanges: Jetzt ist Jesus bei mir. Er geht mit mir. Er steht mit mir alles durch.
Diese Kraft braucht er jetzt. Wird sie ihm helfen, dem Tod ins Auge schauen zu können? Wird sie ihn begleiten, wenn er jetzt als „dead man walking“ gefesselt zur Hinrichtungskammer geführt wird? Ist diese Hostie Ausdruck seiner Sehnsucht nach Vergebung? Hat er doch zwei Menschen auf dem Gewissen! Hofft er auf ein Leben nach diesem vermurksten Leben?
Jonathan W. Nobles kann uns diese Fragen nicht mehr beantworten. Wir können nur ahnen. Er hat sich darauf verlassen: Mit diesem Stück Brot ist eine Verheißung verbunden, ein starker Trost. Die Worte, die in jeder Messe gesprochen werden, gelten auch mir.
Bei diesem Jesus bin ich nicht abgeschrieben. Denn er hat gesagt: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“
Dieser Jesus bricht nicht den Stab über mich. Denn er hat gesagt: „Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden“.
An der Geschichte des Mörders Jonathan W. Nobles geht mir neu auf: Es sind starke Worte, die wir da bei der Wandlung hören. Dieses kleine Stückchen Brot ist letzte Hoffnung, letzte Wegzehrung, letzte Verheißung auf Versöhnung.
(nach einer Idee von Pater Manfred Kollig)

Fürbitten
Gott, wir bitten dich für Menschen, die genau wissen: Sie haben nicht mehr lange zu leben:

Für alle, die in jungen Jahren auf den Tod zugehen, noch kleine Kinder haben und wissen, sie würden noch so sehr gebraucht …
Lasset zum Herrn uns beten:
Für alle, die im Wissen um den nahenden Tod sich von allen abkapseln und mit keinem Menschen mehr zu tun haben wollen …
Lasset zum Herrn uns beten:
Für alle, die noch große Pläne und Projekte im Kopf haben und wissen, sie müssen sie unvollendet liegen lassen …
Lasset zum Herrn uns beten:
Für alle, die wissen: Ich kann nur im Frieden sterben, wenn ich eine belastete Beziehung bereinigt habe …
Lasset zum Herrn uns beten:
Für alle, die zum Tod verurteilt sind und in den nächsten Tagen hingerichtet werden …
Lasset zum Herrn uns beten:
Für alle, die es nicht wahrhaben wollen, dass sie sterben müssen – und die deshalb nicht loslassen können …
Lasset zum Herrn uns beten:
Für unsere Toten: In diesem Gottesdienst beten wir für ………………


Pfarrer Stefan Mai

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