Im Anschauen deines Bildes

Predigt zum Schmerzensfreitag in Handthal

„Im Anschauen deines Bildes, im Anschauen deines Bildes, da werden wir verwandelt, da werden wir verwandelt, da werden wir verwandelt in dein Bild.“ So heißt es in einem Lied.

Ja, warum stehen Gläubige Menschen so gern in unseren Kirchen vor Bildern und Statuen? Ich glaube, es hat mit dieser Hoffnung zu tun:
Im Anschauen deines Bildes, im Anschauen deines Bildes, da werden wir verwandelt, da werden wir verwandelt, da werden wir verwandelt in dein Bild.

Wenn sich Menschen vor diese Bildzeugnisse hinstellen, dann hoffen sie, dass ihnen durch das Gebet vor diesen Bildern und Statuen eine Kraft zuwächst, die der Person, vor der sie stehen, geschenkt wurde.

Die Altäre der schmerzhaften Mutter Gottes, der sieben Schwerter durch das Herz dringen, oder die Pieta, die Mutter Gottes mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß, sind solche Zufluchtsorte. Die vielen Kerzen, die Menschen hier anzünden, sind doch eine Landschaft flackernder, zuckender Flammen als Sinnbild für Menschen, die hoffen, die ringen und leiden, die opfern und lieben.

Seit dem 13. Jh. gibt es das Fest der „Sieben Schmerzen Mariens“, die von schweren Tagen aus dem Leben Marias erzählen. Und bis heute finden sich Menschen auch unserer Tage mit ihren Ängsten und Sorgen, in ihrem Schmerz und ihrem Kummer in diesem Bild wieder.

Am Anfang steht die dunkle Weissagung Simeons „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“. Nach der Freude der Geburt bringt Maria in großer Dankbarkeit ihren kleinen Jesus in den Tempel und hört, dass es dieser Jesus nicht leicht haben wird. Das gibt ihr einen Stich ins Herz.
Mit bitteren Wahrheiten werden auch heute unzählige Menschen konfrontiert. Viele Schwerter können das menschliche Herz durchstoßen: Das Schwert der Diagnose „unheilbar krank“. Der Schmerz eines Mannes oder einer Frau, die sagen: „Wir verstehen uns nicht mehr. Wir gehen auseinander“. Die Dunkelheit eines Menschen, der keine Hoffnung und keinen Sinn in seinem Leben mehr sieht.

Der zweite große Schmerz im Leben Marias ist die Vertreibung und Flucht nach Ägypten, die Angst um die Familie, die Sorge um die Zukunft.
Den Verlust der Heimat, das erleben Vertriebene und Verfolgte weltweit. Das erleben aber auch so viele Menschen bei uns, die nicht mehr wissen, wo sie hingehören, die sich überflüssig vorkommen, die keinen Halt mehr in ihren Familien haben, die vom Freundeskreis einfach fallen gelassen werden. Welch ein Segen, dann noch einen Halt und eine Heimat im Glauben zu spüren.

Die Suche nach dem zwölfjährigen Jesus ist der dritte Schmerz Mariens. - Wie viele können sich damit identifizieren. Wie viele Mütter und Väter schmerzt es, dass ihre Kinder so ganz anders sind, als sie es sich ausgemalt haben. Wie viele suchen nach verlorenen Söhnen und Töchtern. Gerade heute, wo so viele familiäre Bande abreißen. Und wie viele leiden darunter, dass ihre Kinder den Weg zu Gott nicht mehr finden.

Das vierte Schwert, das Maria durch die Seele dringt, ist das Miterleben des Kreuzweges Jesu. Am Kreuzweg muss Maria den letzten, furchtbaren Gang ihres Sohnes mitanschauen.
Leid anderer, geliebter Menschen anschauen zu müssen, ohne helfen zu können, ist eine harte Prüfung. Wenn wir nichts aktiv tun können, meinen wir, es ist alles sinnlos. Ohnmächtig das Leid anderer Menschen mit aushalten kann so schwer sein wie selbst zu leiden. Aber manchmal kommt es nur aufs Aushalten, aufs „Beim-anderen-Bleiben“ an. - "Liebe zeigt sich im Bleiben" sagte einmal Joseph Kardinal Ratzinger.

Das berühmte Lied „Stabat mater“ - „Christi Mutter stand mit Schmerzen“ führt uns den 5. Schmerz Marias vor Augen. Ja bei einem Sterbenden stehen bleiben, selbst wenn man selbst keine Kraft mehr hat. Nicht ausreißen, wenn es hart wird, sondern stehen bleiben - das kann an den Rand der Kraft gehen. Und doch ist es für viele Menschen der größte Trost, wenn sie nach einem Sterbefall sagen können,: Ich bin nicht ausgerissen. Ich bin da geblieben und habe den Sterbenden nicht allein gelassen.

Und dann das ergreifende Bild der Pieta, der 6. Schmerz Mariens. Maria mit ihrem toten Sohn auf den Schoß. Der Mutterschoß wird zur Totenbahre. Beim Tod eines Kindes kracht eine Welt zusammen. Ich werde nie die Stunden vergessen, wie sich Mütter im Krankenhaus ihre toten kleinen Kinder nochmals auf den Bauch haben legen lassen, um ihnen noch einmal die Wärme spüren zu lassen, die sie ihnen gern ins Leben mitgegeben hätten.

Und schließlich die Grablegung Jesu als letzter Schmerz. „Das Schlimmste ist, wenn eine Mutter einem Kind ins Grab schauen muss“ - sagt der Volksmund. Und er hat Recht. Wie viele Hoffnungen werden mit einem Kind zu Grabe getragen.

Liebe Leser,
die Madonnen mit den sieben Schwertern im Herzen, die Pietas in unseren Kirchen sind Identifikationsfiguren in den vielfältigen Leid- und Schmerzsituationen, die Menschen durchmachen. Vor diesen Figuren die Not des Lebens aussprechen und um Kraft zum Bestehen bitten ist für viele Trost und Kraft zum Weitergehen, auch wenn sie oft nicht wissen, woher sie die Kraft nehmen sollen.
Da ist was dran:
„Im Anschauen deines Bildes, im Anschauen deines Bildes, da werden wir verwandelt, da werden wir verwandelt, da werden wir verwandelt in dein Bild.“


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de