Wehe du hätschelst dein Publikum nicht!

Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (Lk 4,21-30)

Das will einem nicht in den Kopf gehen: da sind alle von der Predigt Jesu in seiner Heimatsynagoge begeistert. Die Leute aus Nazareth staunen darüber, woher er das Zeug zum brillanten Redner hat und klatschen Beifall. Aber plötzlich kippt die Stimmung um: Von ungeheurem Wohlwollen und Stolz auf den inzwischen berühmt gewordenen Sohn der Heimat hin zu größter Feindseligkeit. Zuerst bejubeln alle Jesus und wenige Minuten später treiben sie ihn aus dem Dorf hinaus und wollen ihn den Abhang hinabstürzen. Wie kann man das verstehen?

Hätte Jesus seine Landsleute aus Nazareth gelobt, weil sie ihn loben, hätte er ihnen gesagt: Ich bin so stolz auf meine Heimat und euch. Was aus mir geworden ist, daran habt ihr großen Anteil. Hätte er ihnen ein paar süßliche Worte um den Mund geschmiert, alle wären zufrieden nach Hause gegangen. Aber da macht Jesus nicht mit. Er wird unbequem. Er hält ihnen Sensationslust vor und erzählt vom Glaubensbeispiel einer Heidin aus Sarepta und des Ausländers Naaman. Indirekt fühlen sich die Leute aus Nazareth angegriffen und zahlen es Jesus heim. Sie schmeißen den heimgekehrten Sohn der Heimat wieder raus, ja wollen ihm sogar ans Leben gehen: „Sie gerieten alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen.“

Aber dann diese Reaktion Jesu: Er bekommt keine Angst, entschuldigt sich nicht, fängt nicht damit an: war nicht so gemeint. Nein, seine Reaktion wird kurz und lapidar mit den Worten beschrieben: „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“ Da hört man förmlich eine Stecknadel fallen.

Liebe Leser,

eine Scherzfrage lautet: Was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Autoreifen? Die Antwort: Ein Autoreifen muss mindestens 3 mm Profil haben.
In diese Scherzfrage ist das Bedauern verpackt, dass es so wenige Menschen mit Profil gibt, dass allzu viele nur auf ihren Vorteil schielen und darauf schauen, ob sie ankommen, aber nicht mutig ihre Meinung vertreten und ihren Weg geradlinig gehen. In die Scherzfrage ist die Enttäuschung verpackt, dass kaum jemand für seine Überzeugung einsteht, wenn er auf harten Widerstand stößt oder Nachteile befürchten muss.

Der Evangelist Lukas stellt mit Jesus ein Gegenmodell vor Augen. Er macht klipp und klar: So wie diesen Jesus kann es dir schnell ergehen, wenn du dein Publikum nicht verhätschelst, wenn du nicht die Erwartungen der anderen erfüllst und nicht lächelnd und smart auftrittst. Aber mach dir auch bewusst, wenn du bei deiner innersten Überzeugung bleibst und sie auch in der Öffentlichkeit vertrittst, dann traut sich so schnell keiner an dich ran. Es verschafft dir eher Respekt bei den Menschen.


Pfarrer Stefan Mai

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