Carpe diem

Predigt zum Neujahr 2013

Einleitung
Die meisten von uns haben zwar kein Latein gelernt, aber diesen Sinnspruch hat fast jeder schon einmal gehört: Carpe diem! Nutze den Tag! Dieser Satz stammt aus einer berühmten Ode, die der römische Dichter Horaz verfasst hat. Darin gibt er den Ratschlag: Lass dich nicht von den Widerwärtigkeiten des Lebens klein machen! Und mach’ dir auch keinen allzu großen Kopf darüber, wie die Zukunft verlaufen wird! Sei dir darüber klar: Auch Horoskope helfen nicht weiter. Es gibt nur eines: Carpe diem! Nutze den Tag! Nimm die Stunde ernst, in der du jetzt gerade lebst.

Predigt
Das Motto des römischen Dichters Horaz hat Geschichte gemacht. Carpe diem ist nicht nur sprichwörtlich geworden. Immer wieder hat dieses Motto Menschen angeregt, es in ihr eigenes Leben und ihre eigene Zeit hineinzubuchstabieren.
Ich lese Ihnen jetzt eine moderne Version vor. Sie ist 1999 entstanden und stammt vom US-amerikanischen Komiker und Schauspieler George Carlin. Sein Gedicht ist überschrieben mit: „Wir wissen es ... – warum ändern wir nichts?“

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Das Paradoxon unserer Zeit ist:
wir haben hohe Gebäude,
aber eine niedrige Toleranz,
breite Autobahnen,
aber enge Ansichten
Wir verbrauchen mehr,
aber haben weniger,
machen mehr Einkäufe,
aber haben weniger Freude.

Wir haben größere Häuser,
aber kleinere Familien,
mehr Bequemlichkeit,
aber weniger Zeit,...
...mehr Ausbildung,
aber weniger Vernunft,
mehr Kenntnisse,
aber weniger Hausverstand,
mehr Experten,
aber auch mehr Probleme,...
...mehr Medizin, aber weniger Gesundheit.
Wir rauchen zu stark,
wir trinken zu viel,
wir geben verantwortungslos viel aus;
wir lachen zu wenig,
fahren zu schnell,
regen uns zu schnell auf,
gehen zu spät schlafen,
stehen zu müde auf;
wir lesen zu wenig,
sehen zu viel fern,
beten zu selten.

Wir haben unseren Besitz vervielfacht,
aber unsere Werte reduziert.
Wir sprechen zu viel,
wir lieben zu selten
und wir hassen zu oft.

Wir wissen,
wie man seinen Lebensunterhalt verdient,
aber nicht mehr, wie man lebt.

Wir kommen zum Mond,
aber nicht mehr an die Tür des Nachbarn.

Wir haben den Weltraum erobert,
aber nicht den Raum in uns.
Wir machen größere Dinge,
aber nicht bessere.

Wir haben die Luft gereinigt,
aber die Seelen verschmutzt.
Wir können Atome spalten,
aber nicht unsere Vorurteile.

Wir schreiben mehr,
aber wissen weniger,
wir planen mehr,
aber erreichen weniger.
Wir haben gelernt schnell zu sein,
aber wir können nicht warten.

Wir machen neue Computer,
die mehr Informationen speichern und
eine Unmenge Kopien produzieren,
aber wir verkehren weniger
miteinander.

Es ist die Zeit des schnellen Essens
und der schlechten Verdauung,
der großen Männer und
der kleinkarierten Seelen,
der leichten Profite
und der schwierigen
Beziehungen.

Es ist die Zeit des größeren Familieneinkommens
und der Scheidungen,
der schöneren Häuser und
des zerstörten Zuhause.

Es ist die Zeit
der schnellen Reisen,
der Wegwerfwindeln und
der Wegwerfmoral,
der Beziehungen
für eine Nacht und
des Übergewichts.

Es ist die Zeit der Pillen,
die alles können:
sie erregen uns,
sie beruhigen uns,
sie töten uns.

Es ist die Zeit,
in der es wichtiger ist,
etwas im Schaufenster zu haben
statt im Laden,
wo moderne Technik
einen Text wie diesen in Windeseile in die ganze Welt tragen kann,
und wo Sie die Wahl haben:
das Leben ändern – oder den Text löschen.

Vergesst nicht,
mehr Zeit denen zu schenken,
die Ihr liebt,
weil sie nicht immer
mit Euch sein werden.

Sagt ein gutes Wort denen,
die Euch jetzt voll Begeisterung
von unten her anschauen,
weil diese kleinen Geschöpfe bald erwachsen werden und
nicht mehr bei Euch sein werden.

Schenkt
dem Menschen neben Euch
eine heiße Umarmung,
denn sie ist der einzige Schatz,
der von Eurem Herzen kommt und Euch nichts kostet.

Sagt
dem geliebten Menschen:
„Ich liebe Dich“
und meint es auch so.

Ein Kuss und eine Umarmung,
die von Herzen kommen,
können alles Böse wiedergutmachen.

Geht
Hand in Hand und schätzt die Augenblicke,
wo Ihr zusammen seid,
denn eines Tages wird dieser Mensch
nicht mehr neben Euch sein.

Findet Zeit, Euch zu lieben,
findet Zeit, miteinander zu sprechen,
findet Zeit, alles was Ihr zu sagen habt
miteinander zu teilen,
- denn das Leben wird nicht gemessen
an der Anzahl der Atemzüge,
sondern an der Anzahl der Augenblicke,
die uns des Atems berauben.
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Diesen Text schrieb George Carlin 1999 anlässlich des Todes seiner Frau mit dem Wunsch, dass viele Menschen diese Worte verinnerlichen und nicht mehr so gedankenlos mit sich, der Umwelt und den Mitmenschen umgehen.
Carpe diem...

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Fürbitten

Gott, Herr unserer Stunden und Tage, wir wissen nicht, was uns in diesem Jahr erwartet. Aber wir hoffen auf dein Weggeleit und bitten dich:

Wir beten für alle, die mit Schwung und Zuversicht ins neue Jahr gehen. Herr, unser Gott:

Antwortruf: Begleite sie

Wir beten für alle, die ängstlich und sorgenvoll in die Zukunft schauen. Herr, unser Gott: …

Wir beten für alle, die große Pläne geschmiedet und sich hohe Ziele gesteckt haben. Herr, unser Gott: …

Wir beten für alle, die Verantwortung tragen für den Frieden in der Welt. Herr, unser Gott: …

Wir beten für alle, ganz bewusst ihren Glauben leben möchten. Herr, unser Gott: …

Wir beten für alle Menschen, die in diesem Jahr krank werden oder in eine schwere Lebenskrise geraten. Herr, unser Gott: …

Komm und begleite auch uns, darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen



Pfarrer Stefan Mai

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