Unsere Kinder sind so ganz anders

Predigt zum Fest der Heiligen Familie 2012

Einleitung
Bis heute ist Weihnachten ein Familienfest. Auch wenn die Familien nicht mehr unter einem Dach wohnen, kommt man zusammen. Man ist froh, wenn die Kinder ins Haus kommen, man die Enkel wieder einmal sieht – und es soll vorkommen, dass man auch froh ist, wenn sie wieder gehen.
An Weihnachten kommen viele Familienerinnerungen hoch: an die schönen Dinge, aber auch an die Spannungen und Zerwürfnisse, die Familien erlebt haben.

Predigt
Unsere Kinder sind so ganz anders, als wir sie uns vorgestellt haben. Als sie klein waren, da waren wir ein Herz und eine Seele. Wir waren für sie wie kleine Herrgötter. Sie haben auf uns gehört und geschaut und unsere Wünsche von den Lippen abgelesen. Unsere Ratschläge waren gefragt und Gebot für sie. Wir wussten, was sie bedrückt. Wir waren ihre Seelentröster.
Aber die Pubertät hat aus unseren Kindern ganz andere gemacht. Auf einmal gab es Widerreden. Unsere Ratschläge wurden als Einmischung in ihre Angelegenheiten interpretiert. Es fing damit an, dass sie nicht mehr mit uns in den Urlaub fahren wollten und lieber mit den Freunden unterwegs waren. Und wie viel Streit gab es am Wochenende, wenn sie nicht zur ausgemachten Zeit zuhause waren. Und mit wem sie eigentlich weggehen, danach durften wir sowieso nicht fragen. Das geht euch gar nichts an, ich suche euch die Freunde auch nicht aus, war die Antwort darauf. Und mit Kirche brauchtest du ihnen schon gar nicht zu kommen. Das war für sie abgehakt. Sie stellten sich stur. Wenn man höflich fragte: Gehst du wieder mal mit, dann kam als einzige schnoddrige Antwort. Lass mich bloß damit in Ruhe, ihr könnt ja gehen.
Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt. Aber die Frage bohrt dennoch: Haben wir etwas falsch gemacht?
Liebe Eltern, ich vermute, dass viele von ihnen solche Erfahrungen kennen und sich ähnliche Fragen stellen.
Aber wer dreht den Spieß schon einmal um und fragt: Stellen sich vielleicht auch die Kinder ihre Eltern anders vor? Vielleicht denken die ja: Warum sind unsere Eltern eigentlich nicht froh, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen und unsere eigenen Wege gehen – und nicht ewig kleine Kinder bleiben? Warum wollen die uns an sich binden? Warum denken sie immer gleich, wenn wir etwas anders machen als sie, es ist gegen sie gerichtet. Dabei ist es doch nur ein Versuch, eigenes Profil zu zeigen und eigene Stärken zu entwickeln.
Warum kommen Eltern eigentlich nie darauf, auch von ihren Kindern einmal etwas lernen zu können. Vielleicht sind ja die Kinder näher am Puls der Zeit als die Eltern.
Kurz: Könnte es nicht sein, dass auch die Kinder sagen: Unsere Eltern sind ganz anders als wir sie uns wünschen?
Liebe Leser,
gibt es nur noch unheilige Familien in unserer Zeit? Eltern wünschen sich andere Kinder, Kinder wünschen sich andere Eltern?
Oder stellen wir uns nur die heilige Familie falsch vor? Denn da soll es auch so gewesen sein, dass sich die frommen und tüchtigen Eltern ihren Sohn ganz anders vorgestellt haben. Und aus allen Wolken gefallen sind, wie der als 12-Jähriger auf einmal aufmuckt, Widerreden gibt, kein Verständnis hat, welche Angst und Sorge sie sich um ihn gemacht haben – von der Blamage vor den Mitreisenden gar nicht zu sprechen.
Und der Sohn. Er sagt es seinen Eltern ganz offen: Warum soll ich in euer Lebenskonzept passen. Ich erwarte von euch, dass ihr mein Lebenskonzept akzeptiert: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater im Himmel gehört?“
Liebe Eltern, der biblische Text ist näher am Leben als wir vermuten. Er zeigt uns die Realität der schwierigen Familienphase. Aber er gibt auch einen tröstlichen Rat. Nach der fast frechen Rückfrage des 12-Jährigen heißt es: „Sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte. Aber Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen“ (Lk 2,51).
Heißt das nicht: Es gibt eine Zeit, in der die Eltern ihre Kinder nicht verstehen und umgekehrt. Aber wenn beide Seiten die Worte, die da fallen, und die Konflikte, die weh tun, erst einmal stehen lassen können und darüber nachdenken – ob das nicht der Boden dafür ist, dass Eltern gelassener und Kinder reifer werden können.
Von dem bockigen 12-Jährigen jedenfalls heißt es in unserer Geschichte: „Jesus aber wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.“

Fürbitten
Gott, du tragender Grund, am Fest der Heiligen Familie denken wir an unsere Familien. Sie sind die Keimzellen des Lebens und unserer Gesellschaft. Sie geben Menschen oft den wertvollsten Lebensproviant ins Leben mit. Nicht selten bleibt jedoch die Wirklichkeit hinter dem Traum von Familie und ihrem Ideal zurück. Deshalb bitten wir dich:

Wir sehen Kinder, die vernachlässigt und sich selbst überlassen werden - und Eltern, die ihre eigenen Interessen über das Wohl der Familie stellen.

Antwortruf: Gl 919/2

Wir sehen Jugendliche, die keinen Respekt vor ihren Eltern heben - und Eltern, die sich mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert fühlen

Wir sehen Väter und Mütter, deren Beziehung zerbrochen ist und die ihre Kinder allein erziehen müssen - und Partner, die keine Verantwortung übernehmen wollen

Wir sehen in der großen Familie der Kirche Christen, die sich engagieren und das Gemeindeleben gestalten - und andere, die sich von unserer Gemeinschaft verabschiedet haben

Wir sehen alte Menschen, die Kinder großgezogen, aber den Kontakt zu ihnen verloren haben - und wir sehen Jugendliche und Erwachsene, die mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben wollen


Wir denken an die Toten unserer Familien. In diesem Gottesdienst besonders an...................................

Darum bitten wir dich durch Christus unsern Herrn



Pfarrer Stefan Mai

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