Mit den Aufgaben wachsen

Predigt zum Stefanusfest 2012

Einleitung
Am Stefanustag hören wir normalerweise die Geschichte von der Steinigung, mit der die Kirche darauf aufmerksam machen will: Weihnachten feiern heißt auch: mit der Nachfolge ernst machen.
Die Figur des Stefanus hat in der Apostelgeschichte noch ganz andere Facetten. Eine davon möchte ich heute einmal herausgreifen – und dazu hören wir, was vor der Steinigung passiert ist.

Lesung aus der Apostelgeschichte
In diesen Tagen, als die Zahl der Jünger zunahm,
begehrten die Hellenisten gegen die Hebräer auf,
weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden.
Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen
und erklärten:
Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen
und uns dem Dienst an den Tischen widmen.
Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf
und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen.
Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.
Der Vorschlag fand den Beifall der ganzen Gemeinde,
und sie wählten Stefanus, einen Mann, erfüllt vom Glauben und
vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor
und Timon, Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia.
Sie ließen sie vor die Apostel hintreten,
und diese beteten und legten ihnen die Hände auf.
Und das Wort Gottes breitete sich aus,
und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer;
auch eine große Anzahl von den Priestern nahm gehorsam den Glauben an.
Stefanus aber, voll Gnade und Kraft,
tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk.
Doch einige von der sogenannten Synagoge der Libertiner und
Zyrenäer und Alexandriner und Leute aus Zilizien und der Provinz
Asien erhoben sich, um mit Stefanus zu streiten;
aber sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen.

Predigt
Beauftragt ist er offiziell für den Dienst an den Tischen, Stefanus. Er soll sich sozusagen als Sozialarbeiter in den Armenvierteln von Jerusalem betätigen. Sich speziell um die Witwen kümmern, also um Personen, die ohne Lobby waren, keinerlei Rechtsschutz hatten und auf das Wohlwollen und auf die Hilfe von außen angewiesen waren.
Diesen Auftrag hat Stefanus von den Zwölfen übernommen. Die fühlten sich mit der Verkündigung des Evangeliums genug in Anspruch genommen – und wollten sich auch auf diese Kernaufgabe konzentrieren: „Es ist nicht recht“, sagten sie, „dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen.“ Diesen diakonischen Dienst wollten sie deshalb lieber delegieren. Sie schlugen vor: „Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.“ So kam es zu dieser klaren Arbeitsteilung in der Urgemeinde. Stefanus sollte Chef der Caritas sein.
Aber komisch. Wer weiterliest, wird sich wundern. Von wegen Caritas. Stefanus fängt an zu predigen. Macht den Aposteln Konkurrenz. Seine Predigten kommen an, ecken an – und er legt sich auch an. Mit Leuten aus der Synagoge der Libertiner, der Zyrenäer und anderer. Kurz: mit der religiösen Führungsschicht in den Stadtteilen, in denen er als Diakon tätig ist.
Und es heißt: Die Gegner „konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen“ (Apg 6,12).
Es ist doch auffällig: Da wird einer als Spezialist für ein bestimmtes Arbeitsgebiet eingesetzt. Als Sozialarbeiter. Und dann profiliert er sich auf einem ganz anderen Feld. Er predigt. Und er predigt gut. Trifft den Nerv der Sache.
Das macht mich sehr nachdenklich. Wir leben in einer Zeit des Spezialistentums. Überall wird spezielles Fachwissen gefordert. Es gibt immer enger begrenzte Arbeitsgebiete, die ein immer größeres Detailwissen erfordern. Bei Nachfragen vermittelt ein Sachbearbeiter an den Nächsten, weil das Problem seine Kompetenz übersteigt. Im Grunde geht es schon damit los, dass Eltern mit der Entscheidung für einen bestimmten Zweig im Gymnasium ihr Kind für die spätere berufliche Laufbahn einspuren.
Wenn ich auf diesen Stefanus schaue, frage ich mich, ob wir uns durch unsere Fixierung auf Spezialistenwissen nicht von vorneherein zu sehr einengen. Blocken wir damit nicht Entwicklungsmöglichkeiten ab? Lassen wir eigentlich noch genügend Raum dafür, dass ein Mensch durch die Herausforderungen, die ihm begegnen, allmählich erkennt, wo seine eigentlichen Begabungen liegen? Stefanus würde sagen: Diese Spur musst du weiter verfolgen.
Und ich denke an unsere Kirche. Auch da gibt es das Spezialistentum. Da gibt es den Spezialisten für Familienseelsorge, für Kinder- und Jugendarbeit, für City-Seelsorge und Landpastoral, für -zig Beratungsdienste. Und auch für Liturgie und Predigt gibt es Spezialisten. Und wer für einen dieser Bereiche beauftragt werden will, hat spezielle Zugangsbedingungen und Ausbildungswege. Und gewöhnlich hütet und verteidigt jeder streng sein Arbeitsfeld.
Ich denke, auch hier würde Stefanus sagen: Was einer wirklich gut kann, das merkt man erst daran, ob er die Herausforderungen annimmt, die sich ihm stellen – und sie auch meistert.

Fürbitten
Wir feiern heute den Tag eines großen Predigers und Diakons, den Gedenktag des hl. Stefanus:

Stefanus steht am Anfang der Geschichte unzähliger Glaubenszeugen: Stärke alle, die bewusst ihren Glauben leben und bezeugen wollen

Stefanus wurde die Sorge für die Witwen und Schwachen anvertraut: Gib allen Männern und Frauen, die in caritativen Einrichtungen und Beratungsstellen arbeiten, Einfühlungsvermögen und Durchhaltekraft

Stefanus weiß darum, dass ein Glaube nur überzeugt, wenn er sich auch im Dienst am Nächsten bewährt: Lass unseren Worten auch Taten folgen

Stefanus hat Menschen mit seinen Worten beeindruckt: Schenke allen, die von Berufs wegen von der Macht der Worte Gebrauch machen müssen, großes Verantwortungsgefühl und ein Gespür dafür, was ihre Worte bewirken können

Stefanus sah bei seinem Sterben den Himmel offen: Wir beten in diesem Gottesdienst für unsere Verstorbenen, für......................... Schenke ihnen den Himmel bei dir

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.



Pfarrer Stefan Mai

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