Ein besonderer Raum

Predigt zum Kirchweihsonntag 2012

Ich möchte Sie heute zu einem Weg einladen. Zu einem Weg durch unsere Kirche.

Durch eine Tür bin ich eingetreten.
Kein Wächter stand davor, der auswählte: Du darfst, du darfst nicht.
Kein Kontrolleur stand vor der Tür und fragte nach meinem Ausweis.
Ganz unkontrolliert bin ich heute eingetreten und habe Platz genommen.

Die Kirchentür solidarisiert: den Wohlhabenden mit dem Bedürftigen, den Lachenden mit dem Weinenden, den Selbstbewussten mit dem von Minderwertigkeitsgefühlen Geplagten, den Arbeitgeber mit dem Arbeitslosen, den Spitzenverdiener mit dem Hartz IV Empfänger.

Die Kirchentür heißt mich willkommen mit meiner Lebensgeschichte, meinen Fragen und Zweifeln, meiner Last und Sorge, auch mit meiner Freude und hoffnungsvollen Plänen. Hier in diesem Raum brauche ich keine Rolle spielen, keine Maske aufsetzen. Ich muss nichts vorweisen und nichts geleistet haben.
Ich trete hier ein in einen Raum der Stille, der Sammlung und des Gebetes, aus der Welt der Funktionen in eine Gegenwelt, in den Raum des Geheimnisses.

Ich setze mich in eine Bank. Mein Blick wandert durch den Raum - entlang den Mauern und Wänden. Eigentlich unwirtschaftlich der hohe Raum über mir. Nutzlos, verursacht er nur Kosten. Teurer Raum - verschenkt. Aber ich ahne: Der Mensch hat mehr Raum nötig als nur seinen Wohn- und Arbeitsraum. Er braucht mehr als nur die Kathedralen des Geldes, mehr als nur Wellness- und Konsumtempel, mehr als nur Fabrikhallen und Funktionsräume. Er braucht Räume für die Seele.

Die hohen Wände und der leere Raum, sind eine Einladung, über den Tellerrand meines begrenzten Lebens hinauszudenken. Hinaus über die vollen Kühlschränke, um den Himmel nicht zu vergessen.

Orgelmeditation

Ich sitze in der Bank und mein Blick geht nach vorn. Hoch über mir das Kreuz. Wie viele Menschen haben in guten und bösen Tagen schon darauf geblickt, voll Dankbarkeit und Freude und besonders wenn das Leben schwer geworden ist.
Wie viele Menschen bringen ihre physischen und psychischen Belastungen und zerbrochenen Beziehungen ins stille Zwiegespräch mit dem, von dem sie hoffen, dass er sie versteht: ihre Entscheidungen, ihre Trauer, ihre Krankheit, ihre Probleme und Zweifel, ihre Ohnmacht, ihre Bitten.
Ich schaue auf das Kreuz Richtung Osten, dorthin wo die Sonne aufgeht. Und wenn das Licht von Osten hereinscheint auf das Kreuz, dann möchte ich daran glauben können, dass das österliche Licht einmal über das Dunkel des Karfreitags triumphiert.

Vorne sehe ich den Ambo, das Lesepult. Platz für das Wort.
Ich spüre: Ich möchte hinter den vielen Wörtern, die ich täglich höre das Wort hören, das mir im Leben hilft, das klärt, das manchmal auch stört, das ermuntert, wachrüttelt, beruhigt, inspiriert oder auch eine Lebensrichtung weist.

Ich sehe den Altar - Ort für das Brot.
Wir haben vieles, wovon wir leben. Der Altar sagt mir aber: Wir brauchen nicht nur Lebensmittel, sondern eine Lebensmitte. Wir brauchen nicht nur Märkte, wo wir alles kaufen können, was das Herz begehrt. Wir brauchen auch einen Ort, an dem wir in jedem Gottesdienst die immer gleichen Worte „für euch hingegeben, für euch vergossen“ hören und das gebrochene Brot zum Austeilen sehen und daran erinnert werden: Die Welt kann nur menschlich bleiben, wenn sich Menschen von dieser Lebenshaltung Jesu anstecken lassen, nicht nur an sich, sondern auch an andere zu denken und für andere da zu sein.

Und ich möchte Gott bitten, wenn ich wieder durch die Tür hinausgehe:
Möge das, was ich hier höre, bete, singe und spüre, mir Kraft im Leben geben. Möge es weiterwirken in den Alltag hinein und von mir eingelöst werden, draußen vor der Kirchentür.

Orgelmeditation

Die Anregung zur Predigt verdanke ich Pfarrer Claus-Peter Chrt, Regensburg










Pfarrer Stefan Mai

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