Es geht auch anders

Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis (Mk 12,28b-34)

Wenn es im Wahlkampf eng wird, dann richten sich viele Augen auf das Rededuell der Favoriten im Fernsehen. Mit Spannung wird erwartet, in welcher Form, mit welchen Argumenten, welcher Schlagfertigkeit sich die Kontrahenten gegenübertreten.
Wer hat gepunktet?, das ist es, was am nächsten Tag heiß in Journalistenkreisen diskutiert wird. Barack Obama oder Mitt Romney? Am besten kommen die Rededuelle bei den Zuschauern an, wenn die Kontrahenten kampfeslustig sind, einander scharf angreifen oder versuchen, den anderen aufs Glatteis zu führen, einander Versagen vorwerfen und so tun, als hätten sie die große Lösung für alle schwierigen Probleme. Das gefällt den Fernsehzuschauern in ihren Sesseln, wenn die Amtsbewerber markige Sprüche drauf haben, einander Dinge an den Kopf knallen und Emotionen im Spiel sind.

Streitgespräche zwischen den Schriftgelehrten und Jesus sind uns im Neuen Testament häufig überliefert. Da wollen die Pharisäer von Jesus wissen, mit welchem Recht er die heiligen Traditionen seines Volkes hinterfragt, sie versuchen ihn mit der kniffligen Frage, ob es erlaubt ist, dem Kaiser Steuer zu zahlen, in die Bredouille zu bringen. Es geht heiß her, wenn es um die Einhaltung der Reinheitsgebote geht. Und Jesus wird scharf angegriffen, wenn er sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch setzt. Jesus kontert dabei oft mit druckreifen Sentenzen, wie z. B. „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“, „Nicht der Mensch ist für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen“ oder er greift sogar seine Gegner heftig an, ja attackiert sie direkt mit verletzenden Schimpfworten: ihr Blindenführer, ihr Heuchler, ihr Nattern, ihr Schlangenbrut!
Dieser Stil gefällt uns. Haben wir doch das Gefühl: Jesus bleibt Sieger. Er ist einfach nicht zu schlagen.

Ganz anders ist es im heutigen Evangelium. Da hat ein Schriftgelehrter dem heftigen Streit zwischen den Pharisäern und Jesus zugehört. Es ging um das Thema „dem Kaiser Steuern zahlen oder nicht“ und „die Auseinandersetzung mit den Sadduzäern zur Auferstehungsfrage.“ Der Zuhörer ist beeindruckt von Jesu Schlagfertigkeit und mischt sich jetzt mit der Frage in die Diskussion ein: „Welches Gebot ist das Wichtigste von allen?“ Und das Erstaunliche! Jesus steigt aus der Streitatmosphäre aus. Und das Verwunderliche! Es entwickelt sich zwischen den beiden eine unkomplizierte und konstruktive Unterhaltung. Da reagiert Jesus nicht angepisst: Was hast du jetzt mit dieser Frage wieder im Hinterkopf? Nein, wie ein braver Schüler gibt er auf die Frage des Schriftgelehrten nach dem wichtigsten Gebot, dem berühmten Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, Antwort. Und der Schriftgelehrte sieht dies genauso wie Jesus. Er lobt Jesus ausdrücklich für die gute Antwort und wiederholt sie mit seinen eigenen Worten. Er schließt sich sogar dem Gedanken Jesu an, für den dieser gegen die Pharisäer immer eintrat, dass Barmherzigkeit zu Menschen viel wichtiger ist als Opfer im Tempel darzubringen. Und Jesus bekräftigt seinerseits mit dem Satz: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“, dass er mit dem Schriftgelehrten auf einer Wellenlänge liegt.

Liebe Leser,

ich finde dieses Gespräch zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten so wohltuend. Da will keiner der Gescheitere, keiner der Sieger sein. Da geht es um die Sache. Im Gegensatz zu einer feindlichen Auseinandersetzung, findet ein äußerst wohltuender Dialog zwischen Jesus und seinem gelehrten Kontrahenten statt. Eine vorbildliche und respektvolle Kommunikation.

Dieses Gespräch macht mir wieder einmal etwas klar.
Egal ob es um Auseinandersetzungen im privaten Bereich, in der Politik oder auch in der Kirche geht: Es ist wichtig, in einem offenen, fairen und wertschätzenden Dialog mit Andersdenkenden nach einer gemeinsamen Antwort zu suchen und einen Konsens zu finden. Dies ist weit mehr, als scheinbar als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorzugehen.





Pfarrer Stefan Mai

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