Heilig sein - glauben lernen

Predigt zum Allerheiligentag 2012

Ein Religionslehrer stellte seinen Schülern einmal folgende Aufgabe: „Es ist 7 Uhr früh, ich wache auf und stelle fest, dass ich einen Heiligenschein habe. Was mache ich jetzt?“ Und einer der Schüler schrieb: Ich gehe zu meiner Mutter und sie staunt. Sie sagt: „Was hast du denn da gemacht“ „Nichts“, sage ich, „ich habe es über die Nacht einfach bekommen.“ „Kannst Du das abnehmen?“ fragt meine Mutter. „Nein, kann ich nicht!“ sage ich. „Das ist ja schrecklich!“ sagt sie und ich wünsche mir, keinen Heiligenschein zu haben. Auf einmal verschwindet er.“

Ja, das Wort heilig hat es in unserer Sprache schwer. Zu sehr weckt dieses Wort die Assoziation von Frömmelei, Scheinheiligkeit oder Weltfremdheit. Zu sehr ist es verknüpft mit einem unerreichbaren Idealbild einer religiösen Spitzenleistung, vor der ein Normalchrist den Kopf einzieht und resignierend sagen muss: Da komm ich niemals ran. Das schaff ich niemals im Leben.

Mich macht nachdenklich, dass am Allerheiligentag in unserer Kirche immer die Seligpreisungen als Evangelium gelesen werden. Da werden menschliche Haltungen vor Augen gestellt: Sich vor Gott nichts einbilden, hungern nach Gerechtigkeit, Trauer aushalten, friedfertig sein und es gut und ehrlich mit Menschen meinen und es auch aushalten, wenn Menschen meinen Glauben nicht verstehen und ihn auf die Probe stellen. Das hat doch nichts mit Frömmelei zu tun. Da wird doch kein frömmelnder Schwebezustand propagiert.

Aber was heißt dann heilig sein? Ausgerechnet ein evangelischer Theologe hilft dabei, es mir klar zu machen. Dietrich Bonhoeffer schreibt am 21. Juli 1944 aus dem Gefängnis an einen Freund: »Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: Ich möchte ein Heiliger werden (- und ich halte für möglich, dass er es geworden ist -); das beeindruckte mich damals sehr.
Trotzdem widersprach ich und sagte ungefähr: Ich möchte glauben lernen ... Lange Zeit dachte ich, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte...Später erfuhr ich und erfahre es bis zur Stunde, dass man in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen - sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder Gesunden - und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme ... und so wird man ein Mensch, ein Christ.«

Wenn ich Bonhoeffer richtig verstehe, dann heißt heilig sein: Gott vertrauen und ihm zutrauen, dass er mich in allen Lebenslagen, die ich erlebe und auszuhalten habe, hält.


Pfarrer Stefan Mai

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