Von Ich- und Du-Paketen

Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis (Mk 10,17-27)

In dieser Woche in einer Schule für Lernbehinderte. 4. Klasse Religion. Die Religionslehrerin denkt mit ihren Kindern über den seltsamen Spruch Jesu nach: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“
Sie hat eine Nadel dabei und verschieden dicke Fäden. Sie zieht den dünnen Faden durch das Nadelöhr. Das geht wie geschmiert. Der nächst dickere kann gerade mit Müh und Not durch das Nadelöhr gezogen werden. Beim dritten ist es unmöglich, ihn ins Nadelöhr einzufädeln.

Die Lehrerin holt ein Stoffkamel aus der Tasche, und liest den Satz Jesu: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Dann fragt sie: „Wie geht so ein Kamel durch dieses Nadelöhr?“ „Das geht nicht!“ rufen die Kinder.
Die Lehrerin erzählt weiter: „Zur Zeit Jesu gab es in Jerusalem ein Tor, das hieß „Nadelöhr“, weil es sehr niedrig und eng war. Dieses Tor war Tag und Nacht geöffnet. Alle anderen großen Tore wurden abends geschlossen. Wenn nun spät am Abend ein Kaufmann mit einem reich bepackten Kamel nach Jerusalem kam, war es für ihn unmöglich, in die Stadt zu kommen. Das vollbepackte Kamel kam nicht durch das Tor. Was hättet ihr ihm geraten?“ Die Schüler waren sich einig: „Abladen!“ „Und dann?“, fragt die Lehrerin weiter, „das Kamel geht immer noch nicht durch das kleine Tor.“ „Dann muss der Kaufmann das Kamel mit den Paketen halt draußen lassen, und zum Schlafen allein in die Stadt gehen.“„Schon gut“, meint die Lehrerin, „aber dann können die Sachen ja von Räubern gestohlen werden!“

Allgemeine Ratlosigkeit. Da meldet sich ein sonst eher stiller Bub.
„Das sind überhaupt ganz falsche Sachen“, behauptet er, „das sind lauter Ich-Pakete. Da steht drauf: „Ich will haben!“ „Ich will der Größte sein!“ „Ich will die Schönste sein!“ „Ich bin der Wichtigste! … Ich-Pakete sind unheimlich sperrig. Mit Ich-Paketen ist man ganz schön unbeweglich. Da kommt man nirgends mehr durch.“

Die Lehrerin ist ganz perplex: Eine solch tiefgründige, höchst philosophische Antwort von einem lernbehinderten Kind. Und sie fragt weiter: „Was schlägst du vor, was der Mann tun soll?“ „Er kann aus den ´Ich-Paketen´ ´Du-Pakete´ machen“, argumentiert der Junge weiter.
„Kommt dann das Kamel leichter durch das Tor?“ fragt die Lehrerin verwundert, „da hat es doch wieder sperriges Gepäck auf dem Buckel.“
„Du-Pakete versperren keinen Platz,“
kontert der Bub. „Du-Pakete, die sind innen drin. Die trägt man im Herzen. Von denen kann man viele tragen und man kommt gut durch das enge Tor zu den Menschen in der Stadt.“

Liebe Leser,

ich danke dem Buben und seiner Lehrerin aus der Vinzenz-Pallotti-Schule im Sonderpädagogischen Förderzentrum Friedberg für die geniale Predigt zum heutigen Evangelium. Er gibt uns die Impulsfrage mit in die neue Woche: Was sind meine Ich-Pakete, die mich behindern? Und wie heißen meine Du-Pakete, die mir Wege zu den Menschen eröffnen?


Fürbitten

So manches behindert unseren Weg zum Mitmenschen. Gott, wir bitten dich:

V/A: Gib ein weites Herz , o Gott

Allen Rechthabern und Besserwissern
Allen Überheblichen und Ich-Menschen
Allen Begüterten und Reichen
Allen Phantasielosen und Kleinkarierten
Allen Ängstlichen und Unsicheren
Allen Unbeweglichen und Unbelehrbaren
Allen Knallharten und Gnadenlosen
Wir beten für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an.....Schenke ihnen dein weites Herz, o Gott

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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