Ein altes Gebet - eine neuzeitliche Interpretation

Predigt zum Rosenkranzfest 2012 in Gerolzhofen

Einleitung

Das Beten mit Perlenbändern hat in den Religionen unserer Erde eine lange Geschichte und ist auch heute weit verbreitet:
Im Hinduismus und Buddhismus gibt es die „Mala“. Was nichts anderes als Kette heißt. Der Hinduist nennt immer wieder göttliche Namen. Die ständige Wiederholung hat den Sinn, dass die Namen zum selbstverständlichen Teil des Lebens und Denkens werden.

Im Buddhismus stehen die Perlen für die Wünsche von Menschen. Das Meditieren der Wünsche soll dem Gläubigen helfen, seine irdischen Wünsche immer mehr loszulassen.

99 Perlen zählt das „Misbaha“-Perlenband der Muslime. Wenn die Perlen durch die Finger gleiten beten Muslime die 99 Namen Allahs.

Die orthodoxen Christen haben eine Schnur mit 33 oder 100 Knoten und verbinden sie mit einem besonderen Atemgebet. Beim Einatmen beten sie: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes“ und beim Ausatmen: „Erbarme dich meiner“.

Eine kleine Testfrage: Wieviele Perlen hat unser katholischer Rosenkranz?

------------Des Rätsels Lösung: Es sind 59!

Predigt

Sie hatten den Spieß umgedreht: Nachdem im Mittelalter christliche Ritter zur Eroberung der heiligen Stätten in Palästina angetreten waren und in mehreren Kreuzzügen dem Nahen Osten Tod und Verwüstung brachten, setzten im 17. Jahrhundert die Muslime zur Eroberung des christlichen Abendlandes an. Unser Patroziniumsfest hat seinen Ursprung in dieser Zeit, was heute vielfach in Vergessenheit geraten ist.
Der Gedenktag "Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz" am 7. Oktober erinnert an ein blutiges Gemetzel, an die Seeschlacht bei Lepanto. Am 7. Oktober 1571 waren die Christen den Osmanen zahlenmäßig unterlegen. Die christlichen Mittelmeermächte mit Spanien an der Spitze errangen den ersten Sieg gegen das Osmanische Reich. Mit insgesamt etwa 200.000 Soldaten war es die größte Seeschlacht der damaligen Zeit. Die so genannte Heilige Liga mit Spanien und Venedig an der Spitze verlor in der Schlacht fast 8.000 Soldaten; auf osmanischer Seite starben rund 30.000 Mann, wie es in Geschichtsbüchern heißt. Damit war der Nimbus der Unbesiegbarkeit der osmanischen Mittelmeerflotte gebrochen. Papst Pius V. schrieb den Sieg der Hilfe zu, die er im Rosenkranzgebet erfleht hatte, und führte deshalb das Rosenkranzfest ein. In vielen Rosenkranzkirchen haben Künstler Bilder von einer aufgewühlten See mit donnernden Kanonen und untergehenden Schiffen auf die Wände gemalt. Den meisten ist heute der historische Bezug fremd; ja er erschwert vielen eher einen Zugang zum Rosenkranzgebet.

Herbst 1996. Nicht weit entfernt vom Ort der Seeschlacht von Lepanto im Mittelmeer ist das Meer aufgewühlt. Ein heftiger Herbstturm überraschte Martin Lönnebo zusammen mit einigen anderen Passagieren auf einem kleinen Fischerboot, so dass er zu einem unfreiwilligen Aufenthalt auf einer kleinen griechischen Insel mit nur 47 Einwohnern gezwungen wurde.
Als Martin Lönnebo, Bischof der lutherischen Kirche in Schweden, in den Ruhestand ging, stellte er sich die Frage, wie er den Menschen seiner Kirche eine handfeste Hilfe zum Leben und Glauben hinterlassen könnte.
Als Theologe dachte er dabei natürlich über ein Buch nach, einen Katechismus für den modernen Menschen. Er reiste nach Griechenland, um sich zu erholen und über dieses Projekt nachzudenken. ... und dann dieses aufgewühlte Meer als Auftakt!
Am Abend besuchte er die Taverne am Hafen und beobachtete die einheimischen Fischer, die Perlenketten durch ihre Hände gleiten ließen. Es waren orthodoxe Gebetsschnüre. Da kam ihm die Idee, seiner Kirche statt eines Buches ein Perlenband zu hinterlassen. Ein Perlenband, das man bei sich tragen kann, durch die Finger gleiten lassen kann, Perlen, an denen man sich im wahrsten Sinne des Wortes in bestimmten Situationen festhalten kann.
So nutzte Martin Lönnebo in den nächsten Tagen auf der kleinen griechischen Insel die Zeit und versuchte für seine Kirche ein Gebetsband zu zeichnen und stellte sich dabei die Frage: „Was ist für heutige Menschen wichtig und ansprechend, wenn er seine Lebenserfahrungen mit dem Glauben an Gott in Verbindung bringen will?“ Das Ergebnis ist das kleine Perlenband, das ich heute in Großformat dabei habe. Als kleine Perlenkette ist es heute weit verbreitet und erlebte einen wahren Boom.

Im Schwedischen trägt das Perlenband den Namen „Frälsarkranzen“, d.h. Rettungsring. Das Perlenband möchte ein Rettungsring, eine Hilfe für das Beten und das Bedenken des eigenen Lebensweges im Licht des Glaubens sein. Mit seinen 18 Perlen möchte es heutige Menschen anregen, die eigenen Lebenserfahrungen mit der Botschaft des christlichen Glaubens zu verknüpfen.

Das Perlenband beginnt und endet in der großen, goldenen Gottesperle. Die Farbe Gold verleiht ihr einen besonderen Glanz und hebt sich von allen anderen Perlen ab. Sie ist ein Zeichen für den Beginn und das Ziel unseres Weges und den Sinn des Lebens. Sie möchte mich vertrauen lassen: Er hält mein Leben in seiner Hand und fragt mich: In welchen Lebenssituationen spüre ich seine Nähe?

Was dazwischen liegt, ist unser ganz individuelles Leben mit seinen Höhe- und Tiefpunkten. Ganz nah an der großen Gottesperle findet sich die perlmuttfarbene Ich-Perle. „Ich“ sagen, das geht manchen leicht, anderen schwer von den Lippen. Es hat mit unserer Lebensgeschichte und unserem Selbstbewusstsein zu tun. Es hängt damit zusammen, ob wir uns selbst bejahen können und zu uns selbst stehen. Die Ich-Perle regt dazu an, über mich selbst nachzudenken, wie ich mich empfinde, wie viel ich mir zutraue, welche Träume ich noch habe. Und sie sagt mir: Sieh auf dich selbst mit Liebe. Du bist ein Mensch, kostbar und unendlich wertvoll. Es ist nicht wichtig, was du leistest. Wichtig ist, dass du dich, so wie du bist, akzeptieren kannst.

Die kleine Ich-Perle wird von der großen weißen Taufperle berührt. Zu dem Ja, das ich zu meinem Leben sagen kann, kommt das Ja, das ein anderer zu mir sagt. Niemand kann sein Leben selbst zur Welt bringen. Das Leben ist ein Geschenk, das wir empfangen. Die Taufperle möchte mich daran erinnern: Dass ich leben darf, heißt: Gott hat Ja zu mir gesagt und fragt mich auch: Gewinnt dein Leben durch den Glauben an Tiefe?

An die schmerzlichen Erfahrungen des Lebens, an Krisen und Bruchlandungen erinnert die sandfarbene Wüstenperle. Das Leben ist kein Spaziergang und nicht nur ein blühender Rosengarten, sagt sie mir. Es gibt Zeiten der Dürre und Entbehrung, der Zweifel und Kämpfe im Leben. Du kannst mich in die Hand nehmen, wenn du keine Kraft mehr hast und dich erschöpft fühlst und bitte um die Kraft zum Weitergehen und um die Hoffnung, dass sich der Sinn von schmerzlichen Erfahrungen einmal für dich erschließt. Dazu lädt die Wüstenperle ein.

Erfahrungen von Trennung, von Abschiednehmen und Verlassenwerden will die schwarze Perle der Nacht aufsteigen lassen und uns auch an unsere Sterblichkeit erinnern und uns zugleich im Blick auf das Lebensschicksal Jesu glauben lassen: Gott geht mit durch die Nacht. Er lässt dich nicht allein.
Für die notwendige Gelassenheit in allen Sorgen des Lebens, für das Loslassen können und die Neuanfänge im Leben, steht die blaue Perle der Gelassenheit.
Und die weiße Perle der Auferstehung, die uns an das Geheimnis von Ostern erinnern will, möchte die Hoffnung an Neuanfänge im Leben wach halten.
Für alle Erfahrungen der Liebe gibt es die beiden roten Liebesperlen. Die Liebe braucht immer ein ich und ein du, daher gibt es gleich zwei Liebesperlen. Diese roten Perlen lassen Gesichter von lieben Menschen vor meinen Augen aufsteigen, für sie dankbar sein und gute Wünsche für sie im Gebet aussprechen. Und sie erinnern mich: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.

Für alle Überraschungen im Leben, für alles was wundersam und geheimnisvoll ist, was wir unverdient geschenkt bekommen. Aber auch für das, was niemand von uns wissen darf, was wir nur im Gebet Gott anzuvertrauen wagen, stehen die drei Geheimnisperlen. Sie haben die gleiche Farbe wie die Ich–Perle, weil sie einfach mir gehören.

Und immer wieder zwischen den Perlen, die dazu einladen unser Leben in den Höhen und Tiefen ins Gebet zu nehmen, finden wir die länglichen Perlen der Stille in das Band eingefügt. Sie laden ein, innezuhalten, Unterbrechung und Schweigen im Alltag einzuüben. Sie wollen bewusst machen, dass Stille schon immer der Vorhof jeder Religion ist und kein Glaube ohne dieses Phänomen überleben kann und jedes Leben ohne diese In-sich-gehen-Zeiten verflacht.

Liebe Leser,
ich finde es faszinierend: Ausgerechnet ein evangelischer Christ entdeckt in einer Zeit, in der das Rosenkranzgebet nicht mehr viele Freunde hat, die verborgene Weisheit der alten Gebetsform neu und bringt sie für heutige Menschen wieder zum Sprechen. Ich stelle es einfach als Frage für uns alle in den Raum: Wenn uns unser Gerolzhöfer Patrozinium in Zukunft noch etwas bedeuten soll, müssten wir da nicht in der Art eines Martin Lönnebo neu auf die Suche gehen, um einen alten Schatz neu auszugraben und für unser Leben fruchtbar zu machen?


Fürbitten

Herr, unser Gott, mit den Glaubensperlen des evangelischen Bischofs Lönnebo aus Schweden haben wir heute über den tieferen Sinn eines Perlengebetes nachgedacht. Wir bitten dich.

Ich berühre die Gottesperle
Lass uns den Glauben an dich im Leben nie verlieren

Ich berühre eine Perle der Stille
Schenke uns den Mut zur Unterbrechung, zum Schweigen, zum Nachdenken

Ich berühre die Ich-Perle
Schenke uns ein gesundes Selbstvertrauen und die Gabe, uns anzunehmen wie wir sind

Ich berühre die Taufperle
Lass uns spüren, dass unser Leben durch den Glauben an Tiefe gewinnt

Ich berühre die Wüstenperle
Schenke uns Kraft, wenn wir nicht mehr weiterwissen und uns mutlos fühlen

Ich berühre die Perle der Gelassenheit
Schenke uns die Fähigkeit, etwas stehen lassen zu können, loslassen zu können und das Richtige im rechten Moment zu tun

Ich berühre die Perlen der Liebe
Lass uns dankbar sein für alle Menschen, die uns gern haben und die es gut mit uns meinen

Ich berühre die Geheimnis-Perlen
Lass uns mit anvertrauten Geheimnissen von Menschen verantwortungsvoll umgehen

Ich berühre die Perle der Nacht
Begleite alle Menschen, die alles nur noch schwarz sehen

Ich berühre die Perle der Auferstehung
Schenke all unseren Verstorbenen das ewige Leben bei dir. In diesem Gottesdienst denken wir an......

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn


Pfarrer Stefan Mai

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