In Spannung

Predigt zur Einweihung des Begegnungszentrums St. Johannes

„Im Jahre 1794 haben die löblichen Gemeinden Frankenwinheim und Brünnstadt dieses Pfarrhaus neu aufgebauet.“ Diese Worte haben die Frankenwinheimer Vorfahren in eine große Sandsteinplatte meißeln lassen und hoch oben, für alle sichtbar am Pfarrhaus angebracht.
„Die löblichen Gemeinden“, das klingt nach Stolz, nach Selbstlob. Frankenwinheim bildet sich was drauf ein, dieses Pfarrhaus neu gebaut zu haben.
Selbstlob stinkt! - sagt der Volksmund. Die löbliche Gemeinde - Übertriebener Bauernstolz eines reichen Dorfes?
Ich meine nein! Ich spüre vom damaligen Sprachgebrauch, mit „löblich“ wollten unsere Vorfahren sagen: Wir sind stolz darauf, dass wir dafür gesorgt haben, dass ein Pfarrer für seine Seelsorgearbeit bei uns gute Voraussetzungen hat.
Die Frankenwinheimer waren überzeugt: Das, was wir auf dem Kirchberg hingestellt haben, ist für unser Dorf wichtig. Deshalb haben wir keine Mühen und Mittel gescheut.
Diese alte Inschrift ziert auch heute noch die alte Dame Pfarrhaus, die im neuen Gewand über den Dächern von Frankenwinheim schon von weitem sichtbar grüßt und posiert.
Diese alte Inschrift will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen und fragt mich: Könnten wir das auch heute, über unser neues Begegnungszentrum solche Worte schreiben: Die löbliche Pfarrgemeinde hat zusammen mit der löblichen politischen Gemeinde Frankenwinheim das Begegnungszentrum St. Johannes im Jahr 2012 errichtet. Oder sind wir nur noch Meister im Kritisieren und haben einen aufbauenden Selbststolz und gesundes Selbstlob verlernt, so wie es die Dichterin Eva Strittmatter in die Verse bringt:

Ich habe ein Geheimnis entdeckt.
Wir loben einander zu selten.
Kinder wachsen nicht ohne Lob.
Wir lassen einander nur gelten
mit jener schweigenden Toleranz,
die die Fremdheit zwischen uns steigert.
Und jeder wartet auf das Wort.
Das einer dem andern verweigert.


Es ist für mich heute eine ganz wichtige Frage: Sind wir ein Stück stolz darauf, dass uns dieses Begegnungszentrum ermöglicht wurde und wir es haben dürfen? Sind wir überzeugt, dass mit dem Bau des Begegnungszentrums ein wichtiger Meilenstein für eine gute Zukunft unseres Dorfes gesetzt wurde? Denn wenn ich auf etwas stolz bin, dann stehe ich dahinter und werde dafür keine Mühe und Mittel scheuen und ich werde alles tun, damit etwas mit Leben erfüllt wird und erhalten bleibt.

1794 fanden die Frankenwinheimer das neuerbaute Pfarrhaus für die Zukunft Frankenwinheims wichtig. Und einer politischen Gemeinde war dieses sogar so wichtig, dass sie einstmals die Baulast dafür übernahm.

Wir weihen heute unser neues Begegnungszentrum St. Johannes ein. Ganz bewusst haben wir die alte Inschrift von 1794 als Schmucktafel über dem Pfarrhaus stehen lassen: Im Jahr 1794 haben die löblichen Gemeinden von Frankenwinheim und Brünnstadt dieses Pfarrhaus neu aufgebauet. Und die Frage steht da: Mit welchen Augen schauen wir selbst und später künftige Generationen auf das Werk, das wir heute einweihen?
Ich frage mich: Kann man nicht am Bau ablesen, was der Pfarrei und der Gemeinde wichtig ist, heute im Jahr 2012? Haben wir uns mit der Architektur allein nicht schon ein Programm mit auf den Weg gegeben?
Die Architektursprache lebt von der Spannung alt - neu. Die alte Dame Pfarrhaus, zwar denkmalgeschützt, aber total marode, ist wie aus einem Jungbrunnen neu erwacht. Sie hat einen neuen Partner bekommen, einen modernen Gemeindesaal und ist mit ihm durch eine lichtdurchflutete Eingangshalle verbunden.
Ich finde es eine geniale Idee des Architekten, dass er unserem neuen Begegnungszentrum diesen Stempel Spannung alt - neu aufgedrückt hat.
Denn von dieser Spannung lebt doch zur Zeit unsere Kirche.
Es ist spannend: Altes bewahren und zugleich Neues denken. Alte Traditionen zu verstehen suchen und neue Formen zu schaffen und auszuprobieren.
Es ist doch spannend, verschiedene Lebens- und Glaubensstile als Ergänzung und Bereicherung zu sehen und diese Spannung auch auszuhalten.
Es ist doch eine spannende Sache, wenn sich verschiedene Generationen und Gruppen unter einem Dach treffen.
Es ist wichtig, dass es unter anderen seelsorgerlichen Voraussetzungen als im Jahr 1794 einen Ort gibt, an dem sich Menschen treffen, diskutieren, Pläne schmieden, Glauben vertiefen und darüber nachdenken, wie sie in Zukunft christliche Gemeinde sein und bauen können.
Es ist wichtig, dass sich die Senioren eines Dorfes in einem senioren- und behindertengerechten Umfeld treffen können.
Es ist wichtig, dass es gerade für die heranwachsenden Kinder und Jugendlichen außerhalb des Elternhauses geschützte Räume gibt.
Und es ist auch wichtig, dass vom höchsten Platz Frankenwinheims etwas aufstrahlt, dass gerade hier eben kein altes Pfarrhaus vergammelt, sondern ein Lebenszentrum steht, dass das Juwel des Dorfes darstellt.

Liebe Leser,
nicht nur der Bau war eine spannende, ich will es nicht verschweigen, manchmal auch eine sehr spannungsreiche und Nerven strapazierende Sache.
Für mich bleibt die größte Spannung:
Werden wir mit Leben erfüllen, wozu uns die Architektur einlädt?
Werden die Frankenwinheimer im guten Sinn ein Stück stolz auf ihr im Jahr 2012 errichtetes Bauwerk „Begegnungszentrum St. Johannes“ sein?
Wir es uns gelingen, das architektonische Programm „in guter Spannung“ umzusetzen und mit Leben zu erfüllen?
Wenn ja, dann könnten wir uns auch mit Stolz als „löblich“ bezeichnen.


Friedensgruß:
Concordia res parvae crescunt, discordia maximae dilabuntur.
In Eintracht wachsen kleine Dinge. Durch Zwietracht werden die größten zerstört. So lautet ein altes, römisches Sprichwort. Beten wir.....


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de