„Wenn du nicht mitgehst, blieben wir besser hier!“

Predigt für die Nachkommen von Sanktmartin (Rumänien) zur Feier ihrer Kirchweih in Gerolzhofen
(Ex 33,12-17)


„Wenn du nicht mitkommst, wäre es besser, du ließest uns hierbleiben!“ (Ex 33,15) Diese Worte aus dem Mund von Mose zeigen: Die Israeliten wussten: Ihr Zug durch die Wüste ins erhoffte gelobte Land wird kein Spaziergang werden, auch kein romantisches Abenteuer. Er bleibt ein großes Wagnis, am Ende geht es um Leben und Tod. Deshalb baten sie Gott um sein Weggeleit. Und deshalb nahmen sie das Offenbarungszelt mit auf den Zug durch die Wüste, das sie an den Halteplätzen immer aufschlugen, um es sich zu vergewissern: Gott geht mit uns.

20. Mai 1724. 380 Familien aus dem fränkischen Raum, darunter auch 66 Gerolzhöfer Bürger feiern hier in dieser Kirche einen Abschiedsgottesdienst, bevor sie dann aus der Heimat in die Ferne, ins Königreich Ungarn aufbrechen.
Welche Spannung, welches Gefühlsgemisch muss doch über diesem Gottesdienst damals gelegen sein. Eine Mischung aus Hoffnung und Angst, aus Abschiedsschmerz und Zukunftserwartung, aus Heimweh und Traum von einer neuen Existenz. Heiße Gebete wurden damals in dieser Kirche zum Himmel geschickt. Die 380 Familien beteten um Gesundheit und die Kraft, sich eine neue Existenz aufbauen zu können. Sie beteten darum, dass sie von den Werbern des Barons Johann Georg Haruckern nicht in die Irre gelockt werden. Sie kannten vom Volksmund her, was den Aussiedlern bevorstand: Der ersten Generation der Tod, der zweiten Generation die Not und erst der dritten Generation Brot.
Ich bin mir sicher, dass auch 1724 mit den Auswanderern die innere Überzeugung mitging, wie schon 3000 Jahre zuvor mit den Israeliten: „Gott, wenn du nicht mitkommst, wäre es besser, du ließest uns hierbleiben!“

Und sie nahmen neben ihren Habseligkeiten auf den Pferdewägen auch ihre Gebete, ihre Lieder mit, die in ihnen das Vertrauen wachhielten: Egal, was auf uns zukommt, Gott geht mit!
Es gibt uns heutigen Menschen zu denken: Ihre Vorfahren fingen bald an, eine Kirche zu bauen, trotz der Sorge um den Aufbau der eigenen Existenz. Ein Viertel Jahrhundert später war Sanktmartin schon eine eigene Pfarrei. Welche Energie, welche Kräfte wandten die Neuansiedler für den Bau ihrer Kirche auf. Diese Energie kam aus dem Bewusstsein: Wir brauchen einen Ort, der uns immer daran erinnert, Gott geht mit. Wir brauchen einen Ort, wo wir in freudigen und traurigen Stunden diese Überzeugung miteinander feiern.

Und es rührt mich direkt an: Ihre Vorfahren wählten damals St. Martin als Patron ihrer Kirche und ihres Dorfes. Sein Geist, seine Lebenseinstellung sollte auch den Geist ihres Dorfes und ihres Zusammenlebens prägen. Zum Bild des Mantel teilenden Martin wollten sie aufschauen, diese Menschlichkeit wollten sie sich ständig vor Augen halten, weil sie spürten: Wir brauchen diese Einstellung zueinander, wenn wir überleben und vielleicht sogar einmal gut leben wollen. Wir brauchen die aufmerksamen Augen füreinander und die helfende Hand, wir brauchen die Bereitschaft, miteinander das Leben zu teilen in Freud und Leid und einander beizustehen mit den Fähigkeiten, die ein jeder von uns hat. Wenn wir zu Konkurrenten werden, wird unser Traum von einem guten Leben platzen, wenn wir als Gefährten miteinander das Leben bestehen, wird er wahr werden.

Liebe Nachkommen dieser Menschen von damals,
von Ihnen lebt heute keiner mehr in Sanktmartin in Rumänien. Manche tragen die Bilder aus der alten Heimat noch in sich. Aber egal, wo und in welcher Situation Sie heute leben. Ich wünsche Ihnen: Die jährliche Feier Ihrer Sanktmartin-Kirchweih möge Sie nie die geistigen Wurzeln Ihrer Ahnen vergessen lassen:
Den Glauben: Gott geht mit.
Und die Überzeugung: Leben wird auf Dauer nur gelingen, wenn Menschen zum Leben Teilen bereit sind.



Pfarrer Stefan Mai

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