Gegen die Titelsucht

Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis (Mk 8,27-35)

Schon so oft gehört, das heutige Evangelium, aber lassen wir es in seiner Wucht und Provokation an uns ran?
„Für wen halten mich die Menschen?“, fragt Jesus seine zwölf Freunde. Und er bekommt die Namen der Großen aus der religiösen Ehrenriege zu hören: für Johannes den Täufer, für Elija oder für sonst einen der großen Propheten. Seitens Jesu: Keine Reaktion darauf.
Und er hakt nach: Für wen haltet ihr mich? Und Petrus greift in die höchste Titelkategorie: Du bist der Messias. Ein Titel, auf dem die Hoffnung eines unterdrückten Volkes ruht, politisch höchst aufgeladen. Jedoch: Jesus verbietet es sich, mit diesem Titel angesprochen zu werden.

Kategorische Ablehnung von Titeln. Aber merkwürdig, dann greift Jesus selbst zu einem Titel aus der Glaubenstradition Israels. Er greift zum Menschensohntitel. Während Johannes der Täufer, Elija, die Propheten, der Messias alle Menschen sind, ist der Menschensohn in der jüdischen Tradition eine Gestalt, die einmal aus dem Himmel kommt und im Gericht aufräumt. Der Menschensohntitel ist ein großer Machttitel. Aber was macht Jesus? Er macht aus diesem Machttitel einen Ohnmachttitel! Da kommt der Menschensohn nicht als höchster Richter vom Himmel gebraust. Da sagt Jesus: Der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und Schriftgelehrten verworfen werden, ja er werde sogar getötet. Mit einem solchen ohnmächtigen Menschensohn identifiziert sich Jesus, mit einem der für seine Sache einsteht, auch wenn er dafür angefeindet wird und sogar draufgeht.

Dann ist es nur konsequent, wenn er seinen Nachfolgern als Lebensratschlag mit auf dem Weg gibt, in seine Fußstapfen zu treten: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen und des Evangeliums willen verliert, wird es retten.

Liebe Leser,
einer der jegliche Titel für sich abweist und nur als einer verstanden werden will, der für seine Sache konsequent einsteht, warnt seine Nachfolger davor, etwas werden zu wollen. Wer all sein Denken darum kreisen lässt, etwas gelten zu wollen, sich mit Titeln und Orden behängen zu lassen, der - so Jesus - geht am eigentlichen Leben vorbei. Der lebt nicht wirklich, der hat den Kopf nicht frei, der wird nur gelebt und nur von denen gesteuert, zu denen er gern aufsteigen möchte.
Wer nichts werden will, ist dagegen frei. Wer sich für eine Sache, die den Menschen dient, einsetzt, anstatt dauernd nur an sein Fortkommen zu denken, dessen Leben wird tiefer. Es klingt paradox: Wer es fertig gebracht hat, auf seiner persönlichen Stufenleiter einen Endpunkt zu setzen, hat gewonnen, nicht nur seelischen Frieden und Selbstsicherheit. Er hat das Leben gewonnen, das von keiner Sucht wie Neid und Gier mehr abhängig ist. Auch die Titelsucht ist ein falsches Suchen nach Anerkennung. Sie führt nur in Abhängigkeit und schreit nach mehr.

Ich glaube, dass sich Jesus, der die Titelsucht hasste, auch unter den Heiligen Vätern, Eminenzen und Exzellenzen, Monsignores, Prälaten, und geistlichen Räten unserer Kirche ganz schön fremd vorkommen und klar deutlich machen würde: Wo Menschen durch Titel aus der übrigen Masse der Christen herausgehoben werden, werden Machtstrukturen aufgebaut. Titel sind immer Machtmittel, über die Mächtige verfügen.

Ich bin überzeugt: Er würde sich in einer Kirche viel wohler fühlen, von der 40 Bischöfe - hauptsächlich südamerikanische Bischöfe - kurz vor Abschluss des zweiten Vatikanischen Konzils geträumt haben. Drei Wochen vor dem Abschluss des II. Vatikanischen Konzils treffen sich diese Bischöfe am 16. November 1965 in den Domitila-Katakomben außerhalb Roms. Im sogenannten „Katakombenpakt“ verpflichten sie sich, ein einfaches Leben zu führen und den Symbolen von Macht und Herrschaft zu entsagen. Darunter sind folgende Selbstverpflichtungen zu lesen:

1. Wir werden uns bemühen, so zu leben wie die Menschen um uns her üblicherweise leben, im Hinblick auf Wohnung, Essen, Verkehrsmittel und allem, was sich daraus ergibt.
2. Wir verzichten ein für allemal darauf, als Reiche zu erscheinen wie auch wirklich reich zu sein, insbesondere in unserer Amtskleidung (teure Stoffe, auffallende Farben) und in unseren Amtsinsignien, die nicht aus kostbarem Metall - weder Gold noch Silber- gemacht sein dürfen, sondern wahrhaft und wirklich dem Evangelium entsprechen müssen
5. Wir lehnen es ab, mündlich oder schriftlich mit Titeln oder Bezeichnungen angesprochen zu werden, in denen gesellschaftliche Bedeutung oder Macht zum Ausdruck gebracht werden. (Eminenz, Exzellenz, Monsignore...). Stattdessen wollen wir als "Padre" angesprochen werden, eine Bezeichnung, die dem Evangelium entspricht.

Doch bis heute ist dieser Menschensohn noch immer auf der Suche nach einer solchen Kirche.



Pfarrer Stefan Mai

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