„You are kind. You are smart. You are important“.

Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis (Mk 7,31-37)

„Du bist gut, Du bist gut! Du weißt immer noch ganz genau, was Du tun musst, dass ich mich innerhalb von 30 Sekunden wie ein Stück Scheiße fühle!“
So reagiert Harvey Shine bei einem Wiedersehn mit seiner geschiedenen Frau im Film: „Liebe auf den zweiten Blick“.

Ganz anders agiert in dem Film „The Help“ das schwarze Hausmädchen Aibileen, das ein weißes Kleinkind zu betreuen hat.
Jeden Tag sagt sie diesem Kind drei Sätze: „You are kind. You are smart. You are important.“ „Du bist liebenswert, du bist klug, du bist wichtig!“
Und in Situationen, in denen die kleine Mae Mobley eine schlechte Erfahrung machen musste oder traurig ist, wiederholt das Hausmädchen diese Sätze wie ein Mantra und lässt diese Sätze nachsprechen, damit das Kind daran glauben kann. Und selbst am Ende des Films, als Aibileen gefeuert wird, gibt sie dem Kind diese Sätze wie ein Vermächtnis mit auf den Weg:
„You are kind. You are smart. You are important“. Du bist liebenswert, du bist klug, du bist wichtig!

Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es für Menschen ist, die nicht ernst genommen, geschnitten oder gar niedergemacht werden, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen. Welches Handicap kann das ein Leben lang für Menschen sein. Oft verstummen diese Menschen völlig und ziehen sich ganz zurück. Und jeder weiß, wie gut Menschen tun, die an einen glauben, die einen wahrnehmen, die in mir eine Seite anrühren, dass sich Neues in mir entwickeln kann.

Andauernd erzählen die Evangelien davon, dass Jesus ein Mensch war, der gerade für Menschen, die vom Leben ausgesperrt waren oder sich völlig abgekapselt haben, eine große Sensibilität und Empathie entwickelte.
Heute hörten wir von der Begegnung Jesu mit dem Taubstummen. Zur Zeit Jesu gehörten solche Menschen zu den Ausgeschlossenen, weil man als Grund für ihre Behinderung die Sünde ihrer Eltern oder einen bösen Geist vermutete. Dazu kam noch: Der Taubstumme stammt aus der Dekapolis, einer Gegend, in der die Heiden lebten. Und welcher Jude wollte schon etwas mit Heiden zu tun haben?

Aber Jesus lässt diesen Taubstummen seine Nähe spüren. Er berührt ihn. Es heißt: Er legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes. Er kommt aber nicht als Hokuspokus-Doktor. Er macht keinen „Heile, heile Gänschen-Zirkus“, er sagt nicht: „Ich öffne dich.“ Er ermutigt den behinderten Menschen mit dem Wort: „Effata!“ - Öffne dich! Tu dich auf. Hab keine Angst! Lerne hören, lerne sprechen, damit du sagen kannst, was du willst und musst. Gewinn wieder Selbstvertrauen, trau dich wieder eine Meinung zu haben und zu kommunizieren.

Liebe Leser,

wenn heute Menschen, die im Leben verstummt sind, sich zurückgezogen haben, für nichts mehr aufnahmefähig waren, keine Meinung mehr hatten, wieder Interesse am Leben gewinnen, sich wieder zu sagen trauen, was sie denken, dann geschieht dies meist über den Weg, dass sie neu wahrgenommen werden, dass man ihnen etwas zutraut - wie damals in der Begegnung Jesu mit dem Taubstummen.
Und die beste Prävention dagegen, in die Lebenssackgasse einer Isolierung und eines lähmenden Selbstwertverlustes zu geraten, ist: durch andere Menschen immer wieder hören und erfahren zu dürfen: „You are kind. You are smart. You are important“.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de