Ein bisschen mehr Stolz würde gut tun

Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis (Dtn 4,1-2.6-8)

Einleitung

"Ich habe immer das Gefühl, dass die Kirche sich in zu viele Sachen einmischt, die sie auch gar nichts angehen."'

"Wer an Gott glaubt, lebt in einer alten Zeit."

"Unsere Kirche ist einfach nur furchtbar. Das Gebäude, das ist schon total unattraktiv. Das ist ein grauer Betonklotz, schreckliche Form. Innen drin ist es auch aus Beton und Stein, es ist dunkel, es ist kalt, es kommt kein Licht rein. Es ist einfach schrecklich. Es fühlt sich nicht gut an und es sieht auch nicht gut aus."


Diese Zitate von Jugendlichen aus der Sinus-Milieustudie U 27 belegen: Für viele Menschen fühlt sich Kirche nicht mehr gut an. Die Frage: Was macht das mit uns, die wir noch eine Erwartung und eine Hoffnung mit Kirche verbinden?


Predigt

Als Kirche steht uns Bescheidenheit gut an, vor allem in Zeiten wie den unsrigen.
Vorbei sind die Zeiten, in denen Kirchenvertreter selbstherrlich daherstolzierten, als komme mit ihnen persönlich der Gott der Heerscharen da an.
Vorbei sind die Zeiten, ihn denen Kirchenvertreter als Saubermänner auftraten, die so getan haben, als hätten alle anderen Institutionen Dreck am Stecken und nur in ihren Reihen sei alles lupenrein und in bester Ordnung und sie hätten deswegen das Recht auf andere mit dem Finger zu zeigen oder über die böse und verderbte Welt zu schimpfen.
Vorbei sind die Zeiten, wo das Wort eines Papstes oder eines Bischofs ungefragt hingenommen und als wahres Evangelium angenommen wurde.
Vorbei sind die Zeiten, in denen man allem mit einem ungeheuren Vertrauensvorschuss begegnet ist, was mit Kirche in Verbindung steht.
Vorbei sind die Zeiten, wo man vieles übertuscht und von Fehlern und Missständen abzulenken versucht hat.
Unsere Kirche steckt in einer großen Glaubwürdigkeitskrise und als Kirche steht uns Bescheidenheit gut an. Eine Bescheidenheit, wie sie schon der 1. Petrusbrief angemahnt hat: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach eurer Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig!“ Arroganter und falscher Stolz, alle Überheblichkeit und Selbstüberschätzung wären Gift.

Aber - angeregt durch die heutige Lesung aus dem Buch Deuteronomium - frage ich mich: Erliegen wir zur Zeit nicht der anderen großen Gefahr, dass wir - eingeschüchtert durch alle möglichen Skandale rund um die Kirche - uns nicht zu sehr in eine Haltung hineinmanövrieren lassen: Entschuldigt bitte, uns gibt es auch noch und wie geprügelte Hunde ängstlich umherlaufen und den Schwanz einziehen.

Ich frage mich: Stünde uns nicht ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, wie es im Buch Deuteronomium zum Ausdruck kommt, gut?
Nachdem Mose dem Volk klar gemacht hat, dass es das größte Glaubwürdigkeitskriterium einer Religion ist, wenn sich die Anhänger selbst an die Gebote und Normen halten, die in ihrem Stammbuch stehen, ermuntert er zu einem berechtigten Stolz:

Denn (in den heiligen Schriften) besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennen lernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welch große Nation hätte Götter, die ihr so nahe sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in der Weisung, die ich euch vorlege?

Uns Christen geht mehr und mehr ein gesundes Selbstbewusstsein ab. Aber können wir - trotz aller Runzel unserer Kirche - nicht auf so viele Dinge und Entwicklungen auch stolz sein? Könnten wir nicht auch ähnlich wie das Buch Deuteronomium sagen:
Wo gibt es eine Religion wie unsere christliche Religion, die es so stark auf ihre Fahne schreibt, dass Gott nicht von uns Menschen in der Transzendenz erst gesucht werden muss, dass er sich vielmehr so radikal auf unsere Welt und Menschsein in diesem Mann aus Nazareth eingelassen hat wie in keiner anderen Religion?
Wo gibt es eine religiöse Institution, wie unsere Kirche, die sich von Anfang an so stark sozial engagiert hat, Armenfürsorge aufgebaut, Siechenheime und Krankenhäuser errichtet und dem Leid jeglicher Ausprägung den Kampf angesagt hat?
Wo gibt es einen überzeugenderen Religionsgründer als Jesus? Vergleicht ihn ruhig mit Mohammed und Buddha, vergleicht ihn ruhig mit allen Gurus auf dieser Welt. Er braucht mit dem, was er sagte und wie er lebte, keinen Vergleich zu scheuen!
Können wir nicht stolz sein auf die Tiefe und Weite der Gedanken unserer heiligen Schriften, die für unzählige Menschen auf der Welt Lebensnahrung waren und sind?
Dürfen wir nicht auf die großen Kulturleistungen unserer Kirche, die sie über Jahrhunderte hinweg für das christliche Abendland eingebracht hat, stolz sein. Was wäre unsere Kultur ohne die sakralen Bauten, ohne die christlichen Denker, ohne einen Bach, einen Mozart, einen Michelangelo und wie sie alle heißen?
Dürfen wir nicht stolz sein auf die Aber-Millionen von einfachen Menschen, die über Hunderte von Generationen hinweg aus ihrem Glauben heraus sich für andere eingesetzt haben, ohne viel darüber zu reden und dabei groß rauskommen zu wollen.

Liebe Leser,
Bescheidenheit steht uns gut an, aber eines ist ebenso klar: Wer seinen gesunden Stolz verliert, verliert seine Ausstrahlung und ist auf Dauer nicht mehr lebensfähig.


Fürbitten

Herr, unser Gott, die Balance zwischen einer ehrlichen Bescheidenheit und einem gesunden Selbstbewusstsein zu finden, ist nicht leicht. Wir bitten dich:

Für die Menschen in den christlichen Kirchen. Dass sie nicht selbstgerecht und überheblich in ihrem Glauben stehen

Für alle, die jeglichen Selbstwert in ihrem Leben verloren haben. Dass sie Menschen begegnen, die ihnen Wertschätzung entgegenbringen.

Für alle, denen eine maßlose Selbstüberschätzung zur Lebenshaltung geworden ist, unter der andere zu leiden haben. Dass sie an Grenzen stoßen.

Für alle, die in der Gesellschaft Macht und Einfluss haben. Dass sie sich um gerechte und menschenfreundliche Gesetze kümmern.

Für unsere Toten. Dass ihnen vor dir aufgeht, wer du für sie bist und was sie für Menschen im Leben waren. In diesem Gottesdienst beten wir für.......

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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